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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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Worten
»noch nichts passiert war, nicht mal ein Abschiedskuss. Aber er ist ein ganz
anderes Kaliber als meine bisherigen Freunde, Tessa. Ich spüre, dass wir
füreinander bestimmt sind.«
    Und das von
ihr, die Männern gegenüber eine bisher sehr pragmatische Einstellung an den Tag
gelegt hatte! Meinen Segen konnte sie haben. Ich würde mich freuen, wenn sie
ihre große Liebe endlich gefunden hätte.
     
    Apropos große
Liebe: Paul hatte seine Rückkehr für Sonntag angekündigt und mir gestern Abend
am Telefon bereits genaue Anweisungen gegeben, wie spärlich gekleidet ich ihn
an der Wohnungstür zu empfangen hätte. Das Gespräch war daraufhin in eine
Telefonsexorgie ausgeartet.
    Heilfroh
darüber, dass wir nur telefonierten und er mich deshalb nicht sehen konnte,
lümmelte ich -   wie vermutlich auch die Damen, die solche Gespräche
professionell führen -  in T-Shirt und alter Jogginghose (mittlerweile trug ich
wie es sich gehört, die bequemen Klamotten ebenfalls nach Feierabend.
Allerdings nur, wenn ich allein war) in meinem Sessel, neben mir eine
angebrochene Tafel Vollmilchluftschokolade, hatte den Ton des Fernsehers
abgedreht und blieb seltsam unbeteiligt. Meine schauspielerischen Qualitäten
schienen aber auszureichen, denn zum Abschied stöhnte er in den Hörer:
    »Oh Babe, ich
kann´s kaum erwarten!«
    Als ich die
Aus-Taste meines Handys gedrückt hatte, lutschte ich genüsslich an einem Luft -
Schokoladenstückchen, ließ es auf der Zunge schmelzen und tröstete mich damit,
dass Schokolade nicht dick macht, sondern den Körper formt.
    Schuldbewusst
stellte ich fest, dass sich meine Vorfreude im Gegensatz zu Paul in Grenzen
hielt. Vielleicht wäre sie größer ausgefallen, wenn er mir nicht ständig das
Gefühl vermitteln würde, er sei nur an meinem Körper interessiert? Mit keiner
Silbe hatte er sich erkundigt, wie es mir ging. Wann hatten wir das letzte Mal
ein Gespräch über normale Themen oder unsere Berufe geführt? Nie kam von ihm
ein Vorschlag für einen Ausflug oder eine andere gemeinsame Unternehmung. Ich
musste ihn dazu jedes Mal überreden und meist verlangte er ganz unverblümt eine
sexuelle Gegenleistung dafür.
    Zu Beginn
unserer Beziehung war er ein ganz anderer Mensch gewesen.
    Genau diesen
Satz hörte ich von allen Patienten, die wegen Ehekrisen zu mir kamen!
    Und
ausnahmslos lag die Schuld nie bei einem Partner allein. Also musste ich mich
an die eigene Nase fassen, weil ich es soweit hatte kommen lassen.
    Während der
Krimi, den ich vor einer Stunde eingeschaltet hatte, im Fernseher stumm auf
seinen Höhepunkt zusteuerte, fasste ich einen bedeutungsschweren Entschluss:
Wenn ich schon dabei war, mein Image zu ändern, dann konnte ich auch daran
arbeiten, dass mein Verhältnis zu Paul wieder die früheren Dimensionen annahm. Immerhin
war ich die Therapeutin und damit in der Lage, unsere Beziehung zu analysieren
und entsprechende Maßnahmen zu deren Verbesserung einzuleiten!
    Den ehernen
Psychologen-Grundsatz, bei persönlichen Problemen immer den Rat eines
unbeteiligten Kollegen einzuholen, da man bezüglich der eigenen Schwierigkeiten
unter Betriebsblindheit leidet, hatte ich bei meinen Überlegungen leider völlig
verdrängt.

SNAKEBITE
     
    Leicht
verärgert legte ich den Telefonhörer auf und lehnte mich nachdenklich in meinem
Bürostuhl zurück. Ich hatte gerade die dritte Absage für eine Therapiestunde  erhalten,
dabei war es erst Dienstagmorgen! Alle schienen krank zu sein.
    Dieser Anruf
eben war von Jürgen gekommen, mit dem ich in den letzten Wochen gut zusammengearbeitet
hatte. Wir kamen voran, er hatte im Geschäft eine junge Frau kennengelernt und
es geschafft, sich zweimal mit ihr zu verabreden, ohne sie durch übertriebene
Lüsternheit in die Flucht zu jagen. Irgendwie hatte er gerade seltsam
schuldbewusst geklungen, als er mir mit belegter Stimme von seiner üblen
Erkältung erzählte. Aber vermutlich litt ich unter Halluzinationen. Anfang
Februar war eine Erkältungswelle völlig normal.
     
    Ich starrte
durchs Fenster nach draußen, wo die Schneeflocken wild durcheinander wirbelten
und den Dächern gegenüber eine weiße Haube aufgesetzt hatten. Der
Wintereinbruch war doch noch gekommen und ich hoffte, es würde im Lauf des
Tages zu schneien aufhören, damit heute Abend kein Chaos auf den Straßen
herrschte und ich nicht ewig im Stau stünde. Gut, dass ich mir morgen frei
genommen hatte, da musste ich mir um Glatteis und Rutschgefahr keine Gedanken
machen.

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