So unerreichbar nah
Freundinnen sind, könnten wir uns doch duzen? Ich heiße
Franziska.«
Nur über
meine Leiche. Du bist nicht meine Freundin und wirst es auch nie werden. Was diese
Franziskas nur immer mit ihrer Freundinnentour haben?
Mit einem
mindestens genauso falschen Lächeln gab ich zurück:
»Ich bin
etwas altmodisch, was das schnelle Duzen angeht. Ich duze mich nur mit
Menschen, die ich längere Zeit kenne und schätze. Wir haben ja noch viel Zeit,
Frau Klausen.«
Meine Mutter
hatte dieselbe Einstellung gehabt. Ihr Spruch, wenn ihr jemand, den sie nicht
mochte, das Du anbot, war drastisch gewesen. Sie pflegte dann mit ironischem
Lächeln zu sagen: »Nein danke. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir zusammen
schon Schweine gehütet haben!«
Franziska blickte
gleichzeitig verdutzt und verärgert. Man sah deutlich, dass sie nicht mit einer
glatten Absage gerechnet hatte. Sie fasste sich schnell wieder, zuckte mit den
Achseln und machte Anstalten, mir dennoch Kaffee einschenken zu wollen.
Rasch senkte
ich meinen Porzellanbecher, bedankte mich überschwänglich und erklärte, ich
nähme sehr viel Milch und würde mir deswegen selber einschenken. Sie stellte
die Kanne zurück.
Leider
verließ sie die Küche nicht, sondern lehnte sich lässig an die Ablage, nippte
an ihrem Kaffee und blickte mich forschend an.
»Ach ja, was
diese unerfreuliche Angelegenheit mit Ihren ehemaligen Klienten angeht, da
würde ich mich gern mit Ihnen unter vier Augen unterhalten, Frau Achern. Hätten
Sie heute Abend Zeit?«
Unter vier
Augen? Nur mit Franziska allein? An meinem freien Abend? Niemals!
Ich gab in
meinen halbvollen Becher großzügig Milch, drehte mich dann auf meinen hohen
Stiefeln mit gekonntem Hüftschwung um und steuerte die Tür an. Über die
Schulter hinweg bürstete ich meine intrigante Kollegin ab:
»Machen Sie
sich keine Gedanken, Frau Klausen. Ich habe eine übervolle Warteliste mit
Leuten, die unbedingt von mir therapiert werden möchten. Sie dürfen Ihre
Neuzugänge gerne ohne schlechtes Gewissen weiterbehandeln. Als Anfänger ist man
doch für jede berufliche Erfahrung dankbar, nicht wahr?«
Nimm das,
Miststück!
Beschwingt
eilte ich in mein Büro zurück. Ich war stolz auf mich und meine
unübertreffliche Fähigkeit, auch meine eigenen Konflikte zufriedenstellend zu
lösen und ahnte nicht, dass sich das Schicksal durch diesen Irrglauben
herausgefordert fühlte.
LOVE AT FIRST SIGHT
Abends
kuschelte ich in schwarzen Leggings und einem roten Longpullover gemütlich auf
meinem Sofa, neben mir ein Glas Rotwein und las ein neues Buch auf meinem
Kindle.
Seit
frühester Kindheit war ich eine leidenschaftliche Leseratte. Bei den Mitarbeiterinnen
der örtlichen Leihbücherei war ich berüchtigt gewesen, da ich jede Woche einen
ganzen Stapel Bücher mitnahm und diese regelmäßig nach sieben Tagen gegen neue
austauschte. Eine der Damen, die fatale Ähnlichkeit mit Marge Simpson aufwies,
meinte eines Tages, mich in die Schranken weisen zu müssen. Als ich in der
langen Schlange vor ihrem Ausleihe - Arbeitsplatz endlich an die Reihe kam,
erkundigte sie sich zuckersüß von oben herab:
»Die kannst
du doch alle unmöglich innerhalb einer Woche gelesen haben? Es reicht, wenn du
zwei oder drei Bücher zur Auswahl mitnimmst, die anderen wollen ja auch noch
Lesestoff aussuchen!«
Die gute Erziehung
seitens meiner Mutter (Zu Erwachsenen ist man immer freundlich) hinderte mich
daran, ihr etwas Patziges zu entgegnen. Ich schüttelte nur stumm und
eigensinnig den Kopf und schob ihr unmissverständlich die sieben ausgesuchten
Bücher zum Registrieren über den Tisch. Die damals dreizehnjährige Lisa, die
mich begleitete, wurde nicht von meinen Skrupeln bezüglich Unhöflichkeit
gegenüber Erwachsenen geplagt. In aggressivem Ton mischte sie sich ein:
»Tessa liest
jedes einzelne Buch, welches sie hier mitnimmt. Im Schnitt schafft sie pro Tag
eines. Und was geht Sie das übrigens an, ob, wie viel und wie schnell jemand
lesen kann? Dass Sie nicht von der schnellen Truppe sind, haben wir in
der Warteschlange mitbekommen.«
Marge hatte
mit verkniffener Miene stumm und mit akribischer Genauigkeit meine Bücher in
den Computer eingegeben und nie wieder ein Wort mit mir gesprochen.
Im Laufe der
Jahre hatte sich in meiner Wohnung eine stattliche Anzahl von Büchern aller Art
angesammelt und von keinem einzigen davon mochte ich mich trennen. Obwohl ich langsam
Platzprobleme bekam, bedeutete Bücher wegzuwerfen ein Sakrileg für
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