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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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Einkaufen konnte ich notfalls zu Fuß und nachmittags käme Paul zu mir,
der seine zahlreichen Überstunden abbauen musste und ebenfalls einen freien Tag
genommen hatte.
     
    Am nächsten
Morgen genoss ich es, zur üblichen Zeit, gegen sechs Uhr dreißig, automatisch
aufzuwachen und mich, anstatt müde und verschlafen ins Bad zu tappen, wohlig in
meinen Kissen zu räkeln um noch für ein Stündchen weiterzuschlafen.
    Nachdem ich
meine Wohnung auf Vordermann gebracht hatte, fuhr ich zum Supermarkt, um etwas
Leckeres für heute Abend einzukaufen. Glücklicherweise herrschte inzwischen
Tauwetter. Ich plante, Filet in Sahne-Pilz-Soße mit Pauls geliebten handgeschabten
Spätzle zu kochen und besorgte sämtliche Zutaten. Kaum war ich wieder zuhause,
klingelte mein Handy.
    »Hallo Süße.
Du, ich kann heute Nachmittag doch nicht zu dir kommen. Dr. Rademacher hat
einen neuen Klienten, eine große Exportfirma mit Riesenjahresumsätzen, für
unsere Kanzlei gewonnen und ich soll unbedingt bei der Erstbesprechung dabei
sein. Tessa, ich vermute, das zieht sich bis in den späten Abend hinein,
folglich werden wir uns heute nicht mehr sehen. Wir telefonieren wieder, es
klingelt auf der anderen Leitung. Tschüss, mach´s gut, Schatz.«
    Du mich auch,
dachte ich erbost. Wie schön, dass er mich überhaupt nicht hatte zu Wort kommen
lassen. Noch eine Absage, diesmal auch noch privat! Litt ich an Aussatz? Oder
standen meine Sterne schlecht?  Mieses Karma eventuell?
    Egal, ich
würde das Beste aus der Situation machen. Da Autofahren aufgrund der wieder
schnee- und eisfreien Straßen problemlos möglich war, beschloss ich, meinen
freien Nachmittag für dringende Verwaltungsarbeiten zu nutzen und begab mich
kurzentschlossen in die Praxis.
    Gerade als
ich auf den Eingang zueilte, bemerkte ich meinen Patienten Jürgen, der eben
durch die Glastüren auf die Straße hinaustrat. Ohne mir etwas dabei zu denken,
rief ich seinen Namen und winkte ihm zu. Mit  eindeutig verschreckter Miene
blieb er widerwillig stehen und sah mir entgegen.
    »Hallo
Jürgen! Geht es Ihnen wieder besser? Wollten Sie zu mir? Ich habe heute keine
Behandlungsstunde, könnte aber gerne eine Ausnahme machen!«
    »Äh, Tessa,
schön, Sie zu sehen.« Er zögerte, bevor er weitersprach. »Ich war nur in der
Nähe und habe oben nach einem neuen Termin gefragt. Entschuldigen Sie mich jetzt
bitte, ich muss zurück ins Geschäft.«
    Noch bevor
ich ihn fragen konnte, ob Silvia, unsere tüchtige Empfangsdame, ihm hatte
helfen können, war er in Richtung Innenstadt um die nächste Ecke verschwunden.
    Als ich oben
ankam, reagierte Silvia, die hinter dem Tresen eifrig in ihren PC tippte,
ähnlich überrumpelt. Täuschte ich mich, oder war in ihren Augen ein Anflug von
Furcht zu erkennen?
    »Tessa, was
machen Sie denn hier? Ich dachte, Sie hätten sich heute frei genommen!«
    Ich lächelte
sie beschwichtigend an. Komisch, dass sich heute alle so seltsam benahmen.
    »Keine Sorge,
ich leide nicht an Gedächtnisschwund. Aber meine Nachmittagsverabredung ist
geplatzt und deshalb werde ich mich in aller Ruhe meinen Akten und
Krankenkassenberichten widmen.«
    Ich war schon
zu meinem Büro unterwegs, als mir Jürgen einfiel.
    »Ach Silvia,
vorhin habe ich einen Patienten von mir, Jürgen Lauters, unten getroffen, der
einen neuen Termin geholt hat. Für wann haben Sie ihn ins Bestellbuch
eingetragen?«
    Ich fand
meine Frage völlig normal und verstand überhaupt nicht, warum Silvias vornehm
blasses Gesicht schlagartig von einer intensiven Röte überzogen wurde. Sie
begann, völlig untypisch für ihr normalerweise vorlautes Mundwerk, zu stottern.
    »Äh, ja, sein
Termin…«
    Hektisch
blätterte sie mit ihren sorgfältig manikürten roten Krallen im Terminkalender.
Ich war näher an den Empfang getreten und sah ihr über die Schulter.
    »Herr Lauters
war der Name«, half ich freundlich.
    In diesem
Moment trat aus der gegenüberliegenden Tür, die zu unserem ehemaligen "Abstellraum"
führte, Franziska heraus. Seit drei Wochen arbeitete sie bei uns. Sie hatte
viele eigene Patienten mitgebracht und schien von Beginn an ausgebucht.
    Bei ihrem
Arbeitsantritt hatte sie Johannes, Max und mich abends in eine Bar in der Nähe
auf einen Begrüßungstrunk eingeladen und mit uns auf gute Zusammenarbeit
angestoßen. In ihrem hochgeschlossenen schenkelkurzen Kleid mit schwarzen
Strümpfen und Overknees war sie der Hingucker im Lokal gewesen. Sie flirtete
mit den Jungs und unterhielt sich lebhaft mit

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