So unerreichbar nah
Minuten definitiv auch meiner.
Moment, du
hast bereits einen Freund. Du verliebst dich nicht Hals über Kopf in einen Typen,
den du gar nicht kennst, nur weil er Ähnlichkeit mit deinem
Lieblingsschauspieler aufweist. Und schon gar nicht verknallst du dich in den
Freund deiner besten Freundin. Der ist ab-so-lut ta-bu. Das sind nur diese Scheiß-Liebesromane
und diese uralten amerikanischen Spielfilme, die du konsumierst, Tessa. Die tun
dir nicht gut. Denk dran, Burt würde in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag
feiern. Mit achtundzwanzigeinhalb bist du entschieden zu jung für ihn.
Aber Lucas
ähnelte dem jungen Burt, ich schätzte ihn auf Mitte Dreißig, somit zog dieses
letzte Argument nicht.
Mittlerweile
hatte Lisa das Okay von ihm in Form eines lächelnden Kopfnickens und einem Kuss
auf den Mund erhalten und beide folgten mir ins Wohnzimmer. Ich warf hektisch
die Decke ins Schlafzimmer und meinen Lesecomputer hinterher, holte noch zwei Weingläser
aus der Küche und dann erzählte hauptsächlich Lisa, warum sie sich bei mir in
letzter Zeit so rar gemacht hatte. Sie war mit der erfolgreichen Werbekampagne
für Lucas´ neu renoviertes Lokal, dem "Chez amis", ausgelastet
gewesen.
Ich ließ ihr
beschwingtes Geplauder mit halbem Ohr an mir vorüber rauschen und musterte heimlich
ihren Freund, der sein Sakko ausgezogen hatte - Wow, was für breite Schultern!
- lässig neben Lisa auf meiner Couch saß, an seinem Rotwein nippte und sie verliebt
ansah. Ab und an ergänzte er mit sonorer, dunkler Stimme, die mein Inneres
erneut zum Schwingen brachte, ein paar Sätze.
Engelchen zog
eine schmerzvolle, eifersüchtige Schnute. Diesmal war ich mit Tadel an der
Reihe:
Schluss
damit! Der Kerl ist aus der Nähe betrachtet gar nicht so attraktiv. Seine Nase
ist zu groß, er hat eine kleine Narbe unterhalb des rechten Auges und außerdem
liebt er Lisa. Für ihn bin ich nur irgendeine Freundin seiner Freundin,
ansonsten würde er mich gar nicht wahrnehmen. Und das ist gut so.
Mit äußerster
Selbstbeherrschung mimte ich für den Rest des Abends die toughe Karrierefrau
und wohlwollende Freundin, die alles im Griff hat. Ganz bewusst erwähnte ich
mehrfach Paul mit einem, wie ich hoffte, liebevollem Unterton, während ich mich,
allein in meinem Sessel vor den zwei Turteltauben sitzend, wie das berühmte
fünfte Rad am Wagen fühlte.
Unterdessen
wollte es mir trotz aller Bemühungen einfach nicht gelingen, irgendetwas
Negatives an Lucas zu finden. Er benahm sich tadellos, gab intelligente ganze
Sätze von sich, war selbstbewusst, ohne arrogant zu wirken und hatte Humor.
Wenn er, was
häufig der Fall war, lächelte, gruben sich zwei äußerst anziehende Kerben in
seine Wangen. Ich liebte Grübchen!
Das einzig
Negative - allerdings nur was meine Wahrnehmung betraf - war, dass er Lisas
Gefühle ganz offensichtlich erwiderte. Er sah und lächelte sie oft an, berührte
sie am Arm, nahm ihre Hand oder drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Er war
aber Gentleman genug, auch mich als Gastgeberin nicht völlig zu ignorieren und
fragte mich interessiert nach meiner Arbeit.
»Wie werden
Sie mit den bestimmt oft unschönen Dingen fertig, die Sie von Ihren Patienten
zu hören bekommen? Ich stelle es mir sehr anstrengend und belastend vor, mit
einem depressiven Menschen zu sprechen oder jemandem, dem Schlimmes widerfahren
ist, zu helfen. Wie schalten Sie nach einem anstrengenden Arbeitstag ab, Tessa?«
Mein Herz
flog ihm buchstäblich entgegen. Ich liebte die Art, wie er meinen Namen
aussprach und war fasziniert davon, dass er als Mann eine solch empathische
Frage stellte. Paul hatte sich noch nie für meinen Gemütszustand nach der
Arbeit interessiert. Für ihn zählte in letzter Zeit hauptsächlich, was ich
gerade anhatte oder auch nicht.
Hör
verdammt noch mal auf, Paul schlecht zu machen!
Ich sah in
Lucas´ ehrlich interessiertes Gesicht und schaffte es nur mit eiserner
Beherrschung, ihn nicht wieder hemmungslos anzuschmachten, sondern mit angemessen
freundlich-unverbindlichem Lächeln zu entgegnen:
»Am besten
kann ich mit Bewegung abschalten. Indem ich an Geräten im Fitness-Studio
trainiere oder in der Natur spazieren gehe. Oder ich gucke mir lustige Zeichentrickfilme
an, bei denen ich wenig nachdenken und viel lachen muss.«
Boshaft
setzte ich hinzu:
»Die empfehle
ich auch meinen Patienten, wenn sie Liebeskummer haben. Tom und Jerry oder
Sponge Bob Schwammkopf kombiniert mit Chips und Schokolade sind ein
Weitere Kostenlose Bücher