So unerreichbar nah
unvernünftig!
Mit weichen
Knien setzte ich mich zusammen mit meiner Freundin, die zur allgemeinen
Begrüßung ebenfalls aufgestanden war, an den Tisch.
Lisa wirkte
in einem fliederfarbenen Seidenpulli und passendem Minirock mit hohen Stilettos
zierlich und sehr attraktiv. Ihre blonden, kinnlang gestuften Haare umrahmten
lockig ihr zartgeschnittenes Gesicht und ließen ihre Augen leuchten. Noch nie
war es mir passiert, dass ich mir in ihrer Gegenwart zu groß vorgekommen war -
bis heute. Lucas stand offensichtlich auf kleine, zartgebaute Frauen.
Als wir Platz
genommen hatten, schweifte mein Blick durch das vollbesetzte Lokal. Das
zweistöckige, rundum verglaste Gebäude lag in einem Innenhof, den man mit
Palmen, einem künstlichem Teich und modernen Skulpturen zu einem ansprechenden Außenbereich
umfunktioniert hatte. Der große Speiseraum im Erdgeschoss war durch weiße
durchsichtige Stoffbahnen in kleine intim wirkende Bereiche unterteilt, in
welchen edel mit weißen Tischdecken eingedeckte Zweier-, Vierer- oder
Sechsertische standen. Man saß auf bequemen Lederstühlen und konnte durch ein
riesiges Glasfenster in die offene Küche sehen, wo die Köche alle Hände voll zu
tun hatten, die Gerichte zuzubereiten. Eine geschwungene Wendeltreppe aus
Metall führte in den ersten Stock zur Lounge hoch. Es gefiel mir
außerordentlich gut, da alles zusammengenommen eine elegante und dennoch
gemütliche Atmosphäre vermittelte. Der Service war perfekt und unaufdringlich.
Ich machte
Lucas gegenüber eine entsprechende Bemerkung und freute mich unangemessen über
das strahlende Lächeln, mit dem er mich dafür belohnte.
»Vielen Dank.
Ich freue mich auch, dass das Lokal, dank Lisas unermüdlicher Public Relations-Arbeit,
in kürzester Zeit so bekannt und beliebt geworden ist. Eigentlich arbeite ich
zusammen mit meinem Vater und meinem Bruder in unserer Firma, die Uhren und
Schmuck an Einzelhändler weiterverkauft. Aber das "Chez amis" ist so
eine Art Spleen von mir. Etwas, das mir ganz allein gehört, wofür nur ich
verantwortlich bin und bei dessen Führung ich mich mit niemandem absprechen
muss.«
Er grinste
mich schief an.
»Damit lebe
ich mein unterdrücktes Ego aus.«
Ich lächelte
spöttisch zurück.
Allein die
Vorstellung, dass dieser Mann, dem die Autorität und Selbstsicherheit aus jeder
einzelnen Pore strömte, ein unterdrücktes Ego haben könnte, war absurd. Mir
gefiel, wie er mit den Angestellten umging. Er trat bestimmt aber freundlich
auf und man sah an den Reaktionen, dass er als Chef angesehen und beliebt war.
Irgendwie
schaffte ich es, mich im weiteren Verlauf des Abends an der lebhaften
Unterhaltung zu beteiligen, Lucas´ und Lisas Turteleien zu übersehen und mich
Paul zu widmen, der - ich spürte es deutlich - damit zu kämpfen hatte, dass Lisas
Freund zwanzig Zentimeter mehr an Körpergröße aufwies als er.
Paul hatte
noch nie zugeben, dass er kleiner war als ich, in seinen Ausweispapieren stand
überall einsachtzig. Aber da wir des Öfteren barfuß vor dem Spiegel gestanden
hatten - ich sage jetzt nichts Näheres zu diesen Situationen - wusste ich, dass
einsachtzig stark geschönt waren.
Glücklicherweise
saßen wir alle und so konnte mein Freund diese ihn belastende Tatsache
ausblenden. Unter dem Tisch drückte ich seine Hand, die gerade in Richtung
meines Schoßes wanderte und zwang mich, ihn liebevoll anzusehen.
"Nachher",
formte ich unhörbar mit meinem Mund und er lächelte mich erwartungsvoll an. Wahrscheinlich
dachte er gerade an die enge Korsage, die ich - wie er fälschlich meinte, ihm zuliebe
- unter meinem Kleid trug. Aber heute hatte ich mich allein für Lucas angezogen
und geschminkt. Ich beschwichtigte meine Skrupel damit, dass die Korsage
einerseits meine Figur perfekt formte und noch dazu meinen Freund erregte. Zwei
Fliegen mit einer Klappe geschlagen!
Lucas sprach
Paul direkt an.
»Ich hörte,
du bist in einer Steuerkanzlei beschäftigt? In welcher denn? Mein Steuerberater
hört aus Altersgründen auf und ich suche Ersatz.«
Während er
und Paul Adressen austauschten, Paul sichtlich aufblühte und beide über
Steuererklärungen sprachen, unterhielt ich mich aufatmend mit Lisa und bemühte mich,
dabei nur sie anzublicken. Aber es war unmöglich, Lucas auszublenden, da ich
ständig seine Stimme hörte und jeder zweite Satz von Lisa mit "Lucas
sagt" oder "Lucas meint" begann.
Nach dem
ausgezeichneten Essen fragte Lucas, ob wir uns Nachtisch aussuchen wollten.
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