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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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holte
tief Luft, um all die netten Antworten, die mir durch den Kopf schossen (kleine
Auswahl:
    Halt doch mal
einen Vortrag über Patientenklau, da kennst du dich hervorragend aus/Na und?
Lass mich doch von der Polizei vorführen, wenn du auf meine Anwesenheit Wert
legst/Ich komme zu deiner Fortbildung, wenn Weihnachten und Ostern auf einen
Tag fallen), hinunterzuschlucken. Mit offenem Sarkasmus in der Stimme erklärte
ich:
    »Ganz
herzlichen Dank für Ihr freundliches Angebot, Frau Klausen. Leider bin ich
derzeit patientenmäßig so überlaufen, dass mir für Weiterbildung die Zeit
fehlt.«
    Damit setzte
ich mich hinter meinen Schreibtisch und vertiefte mich demonstrativ in eine
Patientenakte.
    Jetzt
verschwinde endlich aus meinem Büro, du blöde Kuh!
    Franziska,
die ihren in eine hautenge schwarze Lederhose verpackten Po an meinen
Fenstersims gelehnt hatte - ich musste die Fläche nachher dringend
desinfizieren - richtete sich seufzend auf und schlenderte lässig zur Tür.
    »Ich finde es
sehr schade, Frau Achern, dass Sie so wenig Teamfähigkeit besitzen. Gerade in
unserem Beruf ist diese eines der wichtigsten Soft-Skills, um die
Deutungshoheit seelischer Patientenbefindlichkeit eruieren zu können.«
    Ja, du
mich auch. Wie sagte Lisa immer so schön? Verschon mich mit deinem
Psychologengeschwafel!
    Kaum war sie
draußen, sprang ich auch schon auf, um das Fenster weit aufzureißen. Der Geruch
ihres aufdringlich süßlichen Parfums und der üble Nachgeschmack ihrer
grenzenlosen Dreistigkeit erstickten mich fast.
    Es reichte,
dass sie damit Johannes und Max das Gehirn vernebelt hatte. Deren gesunder
Menschenverstand war in den letzten Wochen völlig auf der Strecke geblieben.
    Ich schob das
bittere Eingeständnis, mir diese Schlange selbst ins Nest gesetzt zu haben, ins
hinterste Eck meines Gehirns und versuchte, mich mental auf meine nächste
Patientin  einzustellen. Mein Telefon läutete. Silvia verband mich mit
ebenjener Frau, die in fünfzehn Minuten vor mir sitzen sollte. Meine Klientin
hatte fast keine Stimme, hustete heftig und erklärte mir krächzend, mit
neununddreißig Fieber im Bett zu liegen, deshalb müsse sie mir kurzfristig absagen.
    Weit davon
entfernt, darüber ärgerlich zu sein, schnappte ich mir meine Lederjacke samt Handtasche
und erklärte Silvia im Vorübergehen, ich müsse etwas besorgen. Rasch entschwand
ich nach draußen, bevor mir erneut ein Kollege meines "Teams" auf die
Nerven gehen konnte.
    Auf der
Straße vor dem Bürogebäude holte ich tief Luft und hielt mein Gesicht in die
strahlende Sonne. Der blaue Himmel und die relativ milde Luft täuschten den
Frühlingsbeginn vor, obwohl der Februar noch nicht zu Ende war.
    Ich hatte
vor, meine freie Stunde dafür zu nutzen, mir in einem nahegelegenen Café einen
doppelten Cappuccino zu gönnen und alle mich belastenden Sorgen für kurze Zeit
zu vergessen.
    Leider ließen
sich meine guten Vorsätze schwer in die Praxis umsetzen. Wenn man gesagt
bekommt: Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten, was hat man dann vor
Augen? Richtig! Mein rosa Elefant hieß Franziska Klausen. Streng genommen
beschäftigten mich sogar zwei rosa Elefanten.
    Ich traute
meinen Augen nicht. Mein zweiter rosa Elefant namens Lucas trat etwa zehn Meter
vor mir aus der Ladentür eines Juweliergeschäfts auf den Gehsteig. Prima, heute
spielte das Schicksal Russisches Roulette mit mir. Hektisch sah ich mich nach
einer Ausweichmöglichkeit um. Ich wollte jetzt meine Seele baumeln und mich
nicht durch feuchte Hände sowie andere feuchte Körperregionen erneut aus der
Fassung bringen lassen. Kurzentschlossen steuerte ich gesenkten Hauptes die
rechts von mir gelegene Ladeneingangstür an. In der kindlichen Hoffnung, wenn
ich ihn nicht sähe, dann würde er auch mich nicht sehen, betrat ich das
Geschäft und zog scharf die Luft ein, als ich sah, dass ich in einem
Haushaltwarenladen gelandet war.
    Scheinbar
wollten sich sämtliche Schicksalsgötter heute unbedingt auf meine Kosten
totlachen.
    Die
unterbeschäftigte Verkaufskraft hinter der Kasse kam hoffnungsvoll auf mich zu.
Noch bevor sie ein routinemäßiges »WaskannichfürSietun?« säuselte, hörte ich in
meinem Rücken das Glöckchen der sich öffnenden Tür und erstarrte. Bitte lass es
nicht den sein, den ich vermute, flehte ich.
    Die Götter
lachten sich halbtot. Ich vernahm direkt hinter mir jene dunkle, erotische
Stimme, die mir, seit ich sie zum ersten Mal gehört hatte, Schauer über den
Rücken trieb.

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