So unerreichbar nah
Allerdings wurde der Schauer jetzt von den Worten und weniger vom
Klang dieser Stimme ausgelöst.
»Die junge
Dame sucht eine Zuckerdose, habe ich Recht?«
Ich fuhr
herum und starrte Lucas, der mit einem sardonischen Lächeln neben mir stand,
entsetzt an. Unschuldig setzte er hinzu:
»Die brauchst
du doch, um den Zucker, den du dir von Lisa leihen wolltest, aufzubewahren.«
Johanna, das
kleine Biest, musste geplaudert haben! Ich krümmte mich innerlich. Lucas hatte
Lisas und mein Manöver durchschaut und amüsierte sich jetzt königlich. Die
Verkäuferin war bereits dabei, mir diverse Zuckerdosenmodelle aus den Regalen
zu holen. Völlig durcheinander stotterte ich:
»Ich glaube,
da ist nicht das Richtige dabei, aber vielen Dank für Ihre Mühe«, machte auf
dem Absatz kehrt und verließ fluchtartig das Geschäft. Im Hinausgehen hörte
ich, wie der Freund meiner Freundin der Verkaufskraft in vertraulichem Ton
erklärte:
»Sie ist ein
bisschen durcheinander. Hat gestern einen anstrengenden Nachmittag gehabt, weil
sie drei Kinder hüten musste. Das hängt ihr heute noch nach.«
Okay, damit
hatte der Mistkerl seinen Status als mein Mr. Perfect definitiv verwirkt. Aber
als ich draußen auf dem Gehsteig stand, erkannte ich die Komik der Situation. Urplötzlich
stieg ein unkontrollierbarer Lachdrang in mir auf. Lucas kam gleich nach mir
aus der Tür. Wir grinsten uns an, und dann prustete ich laut los, wobei mir die
Lachtränen übers Gesicht liefen.
»Die arme
Frau da drin. Die denkt jetzt sicher, wir wären irgendwo entlaufen!«
Lucas´ Grübchen
vertieften sich.
»Sie hatte
eben nicht die richtige Zuckerdose. Da können wir doch nichts dafür! Aber Spaß
beiseite. Ich war gerade bei einem unserer Kunden, kam aus seinem Juweliergeschäft
und habe dich in diesen Laden verschwinden sehen. Warum wolltest du mir aus dem
Weg gehen?«
Ich verdrehte
die Wahrheit ein wenig.
»Ich habe
mich in der Praxis gerade sehr geärgert, war ziemlich schlecht drauf und wollte
in dieser Verfassung niemanden sehen.«
»Aber jetzt
lachst du doch schon wieder und ich freue mich, dich zu sehen, Tessa. Hast du
Zeit? Ich würde dich gern auf einen Kaffee einladen.«
Ich nickte
feixend.
»Aber nur,
wenn es dort Zucker in der passenden Dose gibt.«
Wenig später
saßen wir in dem Café, welches ich ursprünglich alleine angesteuert hatte, an
einem gemütlichen Zweiertisch. Ich löffelte genießerisch den Milchschaum meines
Cappuccinos, während Lucas sich über Stück Sachertorte hermachte. Und bevor ich
noch darüber nachdenken konnte, ob es sinnvoll war, dem Lover meiner besten
Freundin meine Sorgen anzuvertrauen, hörte ich mich von Franziska erzählen. Er
lauschte aufmerksam und in diesem Augenblick fühlte mich von ihm ernstgenommen.
Dieser anteilnehmende Blick tat einfach gut. Zum ersten Mal, seit ich ihn
kannte, war ich mit ihm allein und er konzentrierte sich völlig auf mich! Beinahe
hätte ich den Faden verloren und fing mich gerade noch.
»Ich weiß
einfach nicht, wie ich diese Frau weiter an meinem Arbeitsplatz ertragen soll.
Wir laufen uns immer wieder über den Weg. Wenn sie sich wenigstens unauffällig
und normal verhalten würde, wäre das kein Problem. Aber sie scheint es drauf
anzulegen, mich ständig provozieren und ärgern zu wollen.«
Ich
unterbrach mich und lächelte Lucas schief an.
»Klingt nach
Stutenbissigkeit, nicht wahr? Und das von einer Psychologin. Aber ich kann dieses
hinterhältige Stück einfach nicht leiden.«
Seine Miene
wurde ernst.
»Tessa, so
wie ich dich kennengelernt habe, bist du alles andere als stutenbissig. Du
hast sicher gute Gründe, sie nicht zu mögen. Nenn es Intuition oder
Bauchgefühl, wenn du es dir sonst nicht erklären kannst. Und pass auf. So wie
du das schilderst, hat sie vor, dich auszubooten. Ist sie denn wirklich so
fähig, wie deine Kollegen glauben?«
Ich erzählte
ihm von ihren sagenhaften Referenzen, ihrer vorherigen Stelle und ihren
vielfältigen Erfahrungen, die sie in der Klinik in Chicago gesammelt hatte. Dann
schüttelte ich unwillig den Kopf.
»Aber
eigentlich wollte ich meine freie Stunde dazu nutzen, nicht an sie zu denken
und meinen Ärger zu vergessen. Also lass uns das Thema wechseln.«
Er lächelte
mich schelmisch an.
»Gut, dann werde
ich mich jetzt bei dir nochmals für den schönen Nachmittag in deiner Wohnung
bedanken. Wir können über Zucker und Dosen reden oder über deine
Lieblingslektüre. Was ist dir denn als Gesprächsthema
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