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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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bei ihm gekauft, einen Adrian van Utrecht, dessen Echtheit sich später als zweifelhaft erwies. Er wollte es zunächst nicht zurücknehmen.«
    »Wie endete der Streit?«
    »Er hat einer Rückabwicklung des Kaufs zugestimmt, nachdem das Bild von einem weiteren Experten geprüft worden war, der nachwies, dass die Farbschichten noch gar nicht richtig durchtrocknet waren. Jobst meinte im Spaß, vielleicht habe Serge es selbst gemalt. Als Kunstfälscher könnte ich ihn mir gerade noch vorstellen – er hat einige Semester Malerei studiert –, aber nicht als Frauenmörder. Wirklich nicht.«
    »Malen Sie?«
    Fuhrmann zuckte zusammen. »Malen? Ich? Nein.«
    »Und Wernegg?«
    »Er hat sein Abi mit Leistungskurs Kunst gemacht und eine Zeitlang an den Malkursen teilgenommen, die im Internat angeboten wurden.«
    »Wie gut beherrscht er das Metier?«
    Ein unwilliger Zug erschien um Fuhrmanns Mund. »Keine Ahnung. Ich glaube, er hat ganz ordentlich gemalt, aber für ein Bild im Stile Adrian van Utrechts braucht es sicher mehr. Weshalb wollen Sie das wissen?«
    Dühnforts Offenheit hatte Grenzen. Er fragte, ob Fuhrmann wisse, wo Wernegg sein Auslandsjahr in Australien verbracht habe, auf welche Universität oder Schule er gegangen sei. Fuhrmann wusste es nicht genau, erinnerte sich aber, Jobst habe mal von Canberra gesprochen.
    Kurz vor elf Uhr nachts ließ Dühnfort Fuhrmann zurück in die Untersuchungshaft bringen und wählte dann Werneggs Nummer. Sie war besetzt.
    ***
    Die Gedanken schwirrten durch seinen Schädel wie ein Schwarm wildgewordener Hornissen. Alles hatte so dicht unter der Oberfläche gelegen, war nur durch eine hauchdünne Membrane von ihm getrennt gewesen. Immer da und doch unendlich weit entfernt. Und dann hatte eine einzige Erinnerung, aus dem Nichts kommend, diese schützende Schicht zerfetzt und weggerissen. Alles, was sein Leben ausmachte, entpuppte sich als Lüge. Und der Lügner war er selbst.
    Diese Erinnerung! Warum jetzt? So spät. Viel zu spät.
    Den Pinsel hatte er schon lange sinken lassen, und doch stand er noch immer vor der Leinwand, vor dem unfertigen Bild, das nun nie vollendet werden würde.
    Es war wie ein Raum, in dem sich ein weiterer Raum verbarg, in dem eine Kammer steckte und in dieser ein Verlies. Ein aufwendiger Versuch, die Wahrheit vor sich zu verbergen. Nicht nur hatte er all das vergessen, es war ihm auch noch gelungen, diesen ganzen Dreck in Schönheit zu verwandeln. Wie war das möglich?
    Die Antwort war im Grunde einfach. Er ließ sich in den Sessel fallen, stürzte einen Grappa hinunter, versuchte den Schmerz in sich zu töten. Die Unruhe hatte ihn verlassen, und auch der Hass und die Wut waren gewichen. An ihre Stelle war der Schmerz getreten, der dahinter gelauert hatte. Er war nicht länger namenlos, sondern brannte jetzt in ihm. Nicht wütend, lodernd, sengend wie ein Höllenfeuer, sondern wie kochendes Blut, das durch seine Adern floss.
    Er konnte ihn nicht ertragen.
    Es hatte ein Ende, und es musste ein Ende haben.
    Der andere in ihm war tot, hatte den Blick freigegeben auf einen Vergessenen, einen Verlorenen.
    Er verließ das Atelier und ging ins Wohnzimmer. Der Fernsehapparat, den er irgendwann eingeschaltet hatte, um den Schwarm Hornissen in seinem Kopf zu vertreiben, lief noch immer. Ein Nachrichtensprecher berichtete über die aktuelle Entwicklung in den Münchner Mordfällen und von der Festnahme René Fuhrmanns.
    Noch gestern hätte er sich darüber gefreut. Heute war ihm diese billige Rache gleichgültig. Trotzdem blieb er stehen und starrte auf den Bildschirm. Es folgten Aufnahmen vom Wäldchen am Speichersee und anschließend eine kurze Filmsequenz, die bei der alten Brauerei aufgenommen worden war. Er sah Dühnfort und seitlich hinter ihm einen Kollegen, der auf eine junge Frau mit dunklem Wuschelkopf einredete.
    Ihm wurde kalt. Sie hatte die Leiche gefunden. Sie! Er drehte den Ton lauter, hörte noch, dass sie dort fotografiert hatte, und schaltete das Gerät aus. Die Stille dröhnte in seinen Ohren.
    ***
    Schon fast elf Uhr. Vickis Rücken tat weh, der Stuhl war zu hoch oder der Tisch zu niedrig. Je nachdem, wie man das sah. Ihre Finger waren verkrampft, aber immerhin hatte sie den ersten Eintrag im Berichtsheft endlich fertig. Der von vorletzter Woche. Den von letzter Woche musste sie noch schreiben. Trotzdem legte sie den Kuli beiseite und schlug das Heft zu. Zeit für eine Pause.
    Hinter der spiegelnden Fensterscheibe lag schwarze Nacht. Epiktet war unter

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