So unselig schön
Vorgesetzter. Er weiß also, was der Job verlangt. Da wir jetzt in unterschiedlichen Abteilungen arbeiten, kriegen wir das zeitlich auch gut hin. Einer von uns ist meistens da und kann sich um die drei Girls kümmern. Notfalls springt die Oma ein.«
Susanne bremste, hupte und scherte dann hinter dem Laster aus, der unvermittelt auf die Mittelspur gezogen war. Auf der linken Spur gab sie zügig Gas und überholte. »Der Leichenfundort ist nicht weit von hier. Ein Spaziergänger hat Svenja Lenhard damals gefunden. Anfang November war das. Verschwunden ist sie am 2 . Juli, einem Freitag, irgendwann nach zweiundzwanzig Uhr. Das war ein heißer Tag und eine laue Nacht. Sie stand in der Fährstraße bei einem Schnellimbiss, ihrem bevorzugten Standort. Ihr letzter Freier war ein Stammkunde. Bruno Lichtenberg. Er hat noch gesehen, wie sie wieder an ihren Platz ging, als er sie kurz nach zweiundzwanzig Uhr verlassen hat. Aber vier ihrer Kolleginnen können sich nicht sicher erinnern, ob sie überhaupt zurückkam. Zwei meinen, ja. Eine meinte, dass nach Bruno vielleicht noch einer da war. Aber sie kann ihn nicht beschreiben. Er hat Svenja aus dem Auto heraus angesprochen. Einem schwarzen Irgendwas. Das kann aber auch am Vorabend gewesen sein. Sicher ist sie sich nicht. Du siehst, das ist alles nicht greifbar.«
»Können wir uns den Platz später ansehen?«
»Klar. Kein Problem.«
»Dieser Bruno Lichtenberg, was macht er? Hattet ihr ihn in Verdacht?«
»Er war unser Verdächtiger Nummer eins, allerdings ohne Motiv. Jedenfalls ohne erkennbares. Er war Stammkunde. Svenja mochte ihn und hat sich ihren Kolleginnen gegenüber nie abfällig über ihn geäußert. Außerdem ist er, gleich nachdem er sie verlassen hatte, in eine Kneipe in der Nähe gegangen.«
»Er hat also ein Alibi.«
Susanne schnalzte mit der Zunge. »Die ganzen Zeitangaben sind mehr als schwammig. Vermisst gemeldet wurde sie erst am Mittwoch, also fünf Tage später. Ihre Eltern begannen sich Sorgen zu machen. Wer erinnert sich nach fünf Tagen noch genau, wann jemand ein Lokal betreten hat oder wann Svenja mit Bruno verschwand und wann und ob sie überhaupt zurückkehrte? Wir haben ihn damals in die Mangel genommen und ihm nichts geschenkt. Als dann die Leiche nach über vier Monaten gefunden wurde, war die Spurenlage katastrophal. So gut wie nichts, und absolut gar nichts, was Bruno Lichtenberg belastete.«
»Keine DNS -Spuren?«
»Fundort war nicht Tatort. Die Leiche war vier Monate der Witterung und dem Verwesungsprozess ausgesetzt. Was soll man da noch an verwertbarer DNS finden? Wir waren ja schon froh, dass wir wenigstens die Tatwaffe bestimmen konnten. Svenja wurde mit einem Beil enthauptet. Und Bruno hat in der Metzgerei seines Vaters gelernt, bevor er das Studium aufgenommen hat. Damit haben wir wenigstens einen Hausdurchsuchungsbeschluss bekommen. Frag mich nicht, wie wir das gedeichselt haben. Mein Mann ist ein erstklassiger Rhetoriker und hat Staatsanwalt und Richter einen begründeten Anfangsverdacht hinkonstruiert. Aber gefunden haben wir rein gar nichts. Weder eine Tatwaffe noch Kleidung noch DNS -Spuren von Svenja, geschweige denn auch nur einen Tropfen Blut. Wenn er es war, dann hat er das woanders gemacht, und dort muss es ausgesehen haben wie in einem Schlachthaus.«
»Seid ihr sicher, dass sie nicht vorher erdrosselt wurde?« Dühnfort berichtete Susanne, wie Nadine Pfaller ermordet worden war, von dem eingedrückten Kehlkopf, der geöffneten Halsvene und der Tatsache, dass der Täter den Kopf erst abgetrennt hatte, nachdem die Leiche ausgeblutet war.
»Wie hätte man das noch feststellen können nach so langer Zeit? Die Leiche war skelettiert. Im Obduktionsbericht findet sich nichts, was auf ein derartiges Vorgehen hindeutet.« Susanne verließ die Autobahn, fuhr auf der Landstraße ein Stück Richtung Ratingen und bog nach etwa fünfhundert Metern scharf links in ein Waldgebiet ein. »Wir sind gleich da.«
Der Wagen holperte über einen schmalen Wanderweg unter Buchen und Eichen dahin. Dühnfort ließ das Seitenfenster herunter. Es roch nach Moos und Holz, nach feuchter Erde und einer Spur Waldmeister. Das Licht fiel diffus durch die Kronen der Bäume. In einem spitzen Winkel bog Susanne auf einen noch engeren Weg ein.
Nach einigen Minuten Fahrt kam eine mächtige Eiche in Sicht, unter der eine Bank stand. Susanne stoppte. »Ab hier geht es zu Fuß weiter.«
Sie verließen den Wagen, gingen zwischen den Bäumen hindurch über
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