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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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drauf, der uns bisher was sagt.« Ihre Stimme klang sachlich und distanziert.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Natürlich«, sagte sie, ohne aufzusehen. »Die Nacht war allerdings zu kurz.«
    Die Tür knarrte. Alexander Boos und Alois traten ein. Dühnfort begrüßte den Leiter der OFA . »Schön, dass du Zeit für uns hast.«
    Als damals das Kommissariat für Operative Fallanalyse in Bayern aufgebaut worden war, hatte Boos ein Jahr in Amerika verbracht, um sich in Langley mit Tatort- sowie Fallanalyse und Täterprofilerstellung vertraut zu machen. Von dort hatte er ein Faible für amerikanisches Essen und Kleidung mitgebracht, speziell für Hosenträger. Heute spannten sich Stars and Stripes über einem weißen Hemd. Sie schoben sich dort, wo der Ansatz eines Bauches sich abzeichnete, ein wenig auseinander und endeten mit Clips am Bund der Calvin-Klein-Jeans. Das dichte dunkle Haar war kurz geschnitten; auf seiner Stirn hatten sich einige Falten eingegraben, die sich nun vertieften.
    »Du denkst also, er wird weitermachen. Wie kommst du darauf?« Boos hängte das Sakko über die Stuhllehne. Dann setzte er sich, öffnete die Knöpfe an den Manschetten und krempelte die Ärmel auf.
    Dühnfort zuckte mit den Schultern. »Wie soll ich das begründen? Es ist hauptsächlich ein Gefühl. Er hat sein Vorgehen verfeinert, und vermutlich hat es den erhofften Effekt gehabt. Ich befürchte, er will dieses Erfolgserlebnis wiederholen. Wie schätzt du das ein? Wie viel Zeit haben wir?«
    »Schwer zu sagen. Drei Stunden, drei Tage, drei Jahre. Wir wissen nicht, was ihn antreibt, wie groß sein Leidensdruck ist. Habt ihr jemanden im Visier?«
    »Bruno Lichtenberg, vierunddreißig, akademischer Maler, hat allerdings auch eine abgeschlossene Ausbildung als Metzger. Er war Verdächtiger im Fall Svenja Lenhard. Mit ihm wollen wir uns unterhalten. Leider müssen wir ihn erst finden.«
    »Hast du die Vernehmungsprotokolle von damals? Die würde ich gerne lesen.«
    Dühnfort wies auf den Aktenstapel. »Du kannst die kompletten Akten mitnehmen. Wir sind fürs Erste durch.« Die Unterlagen der laufenden Ermittlung lagen Boos bereits vor. »Du kennst den Obduktionsbefund von Nadine. Laut Rechtsmedizin ist das kein Sexualdelikt. Was also ist das Motiv des Täters?«
    Boos hatte die Angewohnheit, seine Nasenspitze zwischen Daumen und Zeigefinger zu kneten, wenn er nachdachte. Nun ließ er die Hand auf den Tisch sinken. »Achtzig Prozent der Serienmorde werden aus sexuellen oder finanziellen Gründen begangen. Das scheint hier nicht der Fall zu sein. Die restlichen zwanzig Prozent gehen auf das Konto radikaler Beseitigung von Beziehungsstress, Problemen am Arbeitsplatz und sonstigem Ärger. Aber unterm Strich geht es um Macht und Kontrolle. Der Preis dafür ist ein Leben. Mächtig zu sein, alles im Griff zu haben wirkt stabilisierend und gibt Sicherheit. Das dringende Bedürfnis danach steht häufig im Zusammenhang mit Ausgrenzung und Ablehnung, die der Täter erfahren hat oder noch erfährt. Meistens im nahen persönlichen Umfeld, oft in der eigenen Familie. Nicht selten liegt aber mehr vor: Missbrauch, Verwahrlosung und Vernachlässigung sind häufig in den Lebensläufen von Serientätern zu finden.«
    Gina knallte den Kuli auf den Tisch. »Soll das jetzt heißen, wir suchen nach einem armen Opfer, das zum Monster wurde und nichts dafür kann? Es gibt genügend Menschen, die ein ähnliches Schicksal teilen und trotzdem keine Frauen köpfen und mit ihrem Blut etwas anstellen, das ich gar nicht wissen will. Das ist krank, einfach nur krank. Da könnte ich tagelang kotzen.« Gina stand auf, ging zum Fenster und riss es auf. »Das ist ja nicht auszuhalten.«
    Dühnfort fragte sich, was in sie gefahren war, und trat neben sie. Halb verärgert, halb bestürzt. »Was ist los?«, fragte er mit gesenkter Stimme. »Wenn du dich dem Fall nicht gewachsen fühlst …«
    Sie schoss herum. »Ich komme damit klar. Okay? Ich mache meinen Job, und ich mache ihn gut. Keine Sorge.« Ihre Stimme war leise, die Sehnen am Hals spannten sich.
    Das war es nicht, was ihm Sorge bereitete. »Wir reden später weiter.« Er setzte sich wieder.
    Kurz darauf folgte Gina.
    Boos, der die kurze Unterbrechung genutzt hatte, um sich ein Mineralwasser einzuschenken, stellte das Glas ab, während Alois die Unterarme auf den Tisch legte und die Hände verschränkte. »Müssen wir von einem psychisch kranken Täter ausgehen?«, erkundigte er sich.
    »Zwischen einer pathologischen

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