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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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geknuddelt zu werden oder einen liebevollen Blick zu erhaschen. Vielleicht auch mal Blinde Kuh zu spielen oder Verstecken oder Ball, ein Besuch im Zoo oder im Schwimmbad, so wie das die anderen Mütter machten.
    Die im Fernsehen.
    Pustekuchen. Noch bevor sie eingeschult worden war, hatte sie ihre Lektion gelernt: Es war egal, wie brav sie war, und es gab auch keinen Zauberspruch. Der Zufall oder das Schicksal, oder wie auch immer man das nennen wollte, hatte ihr nun mal diese Mutter beschert.
    Immerhin das Schwimmengehen, das hatte ja geklappt.
    Scheiße! Warum dachte sie jetzt daran? Ihr Puls beschleunigte sich, eine saure Übelkeit wollte aufsteigen. Weg damit. Schnee von gestern. Vicki ging in die Küche, kochte sich Pfefferminztee und trank ihn in kleinen Schlucken. Danach fühlte sie sich besser und kehrte an ihren PC zurück. Epiktet folgte ihr mit seinen Knopfaugen, als wüsste er ganz genau, was in ihr vorging. Vicki nahm ihn aus dem Terrarium. »Warte noch einen Augenblick auf mich, liebe Empörung. Du hast ja recht«, sagte sie, während er sie zu mustern schien. Mit dem Zeigefinger fuhr sie ihm sanft über seinen runzeligen Kopf. Es war einfach zu spät. Nicht mehr zu ändern. Sie sollte besser nach der inneren Ruhe und Gelassenheit suchen, die laut Epiktet Voraussetzung waren, um glücklich zu werden. »Vielleicht schaffe ich das ja irgendwann.« Sie setzte die Schildkröte auf den Boden.
    Ihr Blick fiel auf den Monitor. Diesen Jobst Wernegg, zum Beispiel, hatte das Schicksal mit einer Überdosis beglückt. Mit einem Haufen Geld und einer tollen Mutter, die ihn geliebt hatte und der er In Liebe und Dankbarkeit dieses Denkmal namens Susanne-Karg-Stiftung errichtet hatte.
    Ein Foto von ihr und ihm war auf der Stiftungswebsite eingestellt. Es war uralt. Siebziger-Jahre-Look. Werneggs Mutter hatte die blonden Haare aus dem Gesicht geföhnt und mit einer ganzen Dose Spray betoniert. Goldene Ohrclips lugten zwischen Locken hervor. Sie trug eine braun-lila gemusterte Bluse mit einem spitz zulaufenden Kragen und eine dunkle Hose mit ausgestelltem Bein. Trotz des eleganten Outfits krabbelte sie auf Händen und Knien im Gras und spielte für ihren Sohn, der damals vielleicht vier oder fünf gewesen war, das Pferd. Lachend, mit Federschmuck und Tomahawk ausstaffiert, saß er auf ihrem Rücken. Im Hintergrund war ein Indianerzelt auf der Wiese aufgebaut. Im Vordergrund auf der Terrasse lagen schwarze Schuhe mit Plateausohle und der Blazer des Hosenanzugs.
    In Vicki zog sich etwas zusammen, wurde zu einem kalten Stein, der sich schwer in ihren Magen legte. Was hätte sie für eine solche Mutter gegeben!
    Sie löste den Blick von diesem Idyll und klickte sich weiter durch die Website der Stiftung. Schließlich wollte sie sich auf den morgigen Termin vorbereiten. Wenn Wernegg Kohle fürs Reiten lockermachen sollte, konnte er zumindest erwarten, dass sie wusste, wen sie da um Geld bat.
    Isolde Petri, die Leiterin des St.-Michael-Hauses, war beeindruckt gewesen. Sowohl von Vickis Initiative als auch ihrer forschen Art, die sich bietende Gelegenheit sofort beim Schopf zu packen. Sie hatte Vicki alle Unterlagen über die Reittherapie mitgegeben und ihr viel Erfolg gewünscht.
    In der folgenden Stunde scannte Vicki Fotos aus der Broschüre ein. Kinder auf Pferderücken, beim Ausmisten und beim Striegeln, und zu guter Letzt suchte sie in ihren Fotografien nach Bildern, die sie von Nico, Jessica, Sabrina und Peter gemacht hatte. Ihren vier Kandidaten. Nico, den sein Vater missbraucht hatte, Sabrina, die man gerade noch rechtzeitig und fast verhungert aus der Wohnung ihrer alkoholkranken Mutter geholt hatte, Jessica, die von ihrem Stiefvater halb totgeprügelt worden war und seither an Schlafstörungen, Einnässen und Angstattacken litt, und schließlich Peter, den man völlig traumatisiert in der Wohnung neben seiner toten Mutter aufgefunden hatte – sie hatte sich in seiner Gegenwart erhängt –, und der seither kein Wort sprach.
    Diese Bilder fügte sie ihrer Präsentation hinzu, schrieb zu jedem ein paar Worte, speicherte das Ganze auf dem USB -Stick und steckte ihn gleich in den Rucksack.
    Beschämt fuhr Vicki sich übers Gesicht. Diese Kinder hatten bedeutend mehr durchgemacht als sie. Kein Grund, in Selbstmitleid zu versinken. Ihr ging es gut. Sie hatte es geschafft, sich selbst aus diesem Sumpf zu ziehen. Dank Adrian, der an sie geglaubt hatte.
    Epiktet kam hinter dem Papierkorb hervor. Sie hob ihn auf. »Ich werde so

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