So unselig schön
ehemaligen Milchraum, in dem einige Edelstahlbehälter und Milchkannen auf dem gekachelten Boden standen, und erreichten durch eine weitere Tür den Hausflur und dann einen geräumigen Wohnraum. Dieses Zimmer stellte den größtmöglichen Bruch zum Atelier dar. Es war ganz in Schwarz, Weiß und Grau gehalten und mit minimalistischen Designermöbeln eingerichtet. Nicht ein Gemälde hing an der Wand, und es herrschte penible Ordnung.
Während Gina mit dem Maler an dessen Schreibtisch trat, sah Dühnfort aus dem Fenster. Der Regen hatte nachgelassen. Dennoch trieben Wolken wie pralle Kissen tief über der Landschaft.
»Das Telefon ist ja echt antik«, hörte er Gina sagen, während sein Blick auf einen geparkten Wagen fiel. »Mit Wählscheibe. So eines hatte meine Oma. Sie benutzen auch kein Handy. Weshalb? Haben Sie etwas gegen moderne Kommunikationstechnik?«
»Ich lass mir doch von dem Elektrosmog nicht mein Gehirn zerbruzzeln«, erwiderte der Maler, während ein Signalton anzeigte, dass der Rechner hochgefahren war.
Dühnfort betrachtete das Fahrzeug, das nur von der Seite sichtbar war – ein 3 er BMW , die Coupé-Variante in Silber.
Das Klappern der Tastatur war zu hören, während Carne das Programm aufrief und dann verkündete: »Am Samstag war ich im Kino. Im Filmmuseum in München gab es eine Fritz-Lang-Nacht. Die fing um acht Uhr an. Ich hatte eine Karte reserviert, die ich eine halbe Stunde vorher abholen musste. Kurz nach Mitternacht war die Vorstellung zu Ende.«
»Haben Sie die Karte noch?«, fragte Gina.
Dühnfort wandte sich um, beobachtete, wie der Maler seine Brieftasche aus der Hose zog und darin kramte. »Glück gehabt«, sagte er nach kurzem Suchen und reichte Gina das Billett.
»Ist das Ihr Wagen?« Dühnfort wies durch das Fenster auf den Stellplatz. Carne nickte. »Er hat nicht zufällig ein Münchner Kennzeichen?«
»Doch. Hat er.«
»Weshalb?«
»Weil er auf den Kunstbuchverlag läuft, an dem ich beteiligt bin, und der hat seinen Sitz in München.«
Dühnfort wandte sich wieder dem Fenster zu, blickte hinaus in den Regen und betrachtete die Silhouette des Autos.
***
Als sie kurz nach acht Ginas WG am Bordeauxplatz betraten, stieg Dühnfort der Duft nach Kalbsbraten in die Nase. Dorothee rumorte in der Küche und trat mit einer Rührschüssel in der Hand in den Flur. »Tino? Dich schickt der Himmel. Schau dir mal diesen Spätzleteig an. Der ist viel zu zäh. Soll ich noch ein Ei unterrühren oder besser Milch?« Zum Beweis zog sie den Kochlöffel aus der Schüssel, an dem der Teig in einem Klumpen klebte.
»Am besten Mineralwasser«, antwortete Dühnfort mit skeptischem Blick. Ginas Mutter Dorothee war eine ebenso leidenschaftliche wie untalentierte Köchin.
»Bleibst du zum Essen?«
»Gerne.« Er war müde und hungrig, und sein Kühlschrank war leer.
Dorothee ließ Teig und Löffel zurück in die Schüssel fallen. »Bodo kommt in einer halben Stunde vom Dienst. Dann gibt es Essen«, sagte sie und kehrte in die Küche zurück.
Dühnfort folgte Gina zu ihrem Zimmer und stieß im Flur mit Theo, einem Finanzbeamten, zusammen, der einen Trompetenkoffer in der Hand hielt und vermutlich von der Bigbandprobe kam. Sein Trenchcoat hatte dunkle Flecken. »Ist das ein Scheißwetter.« Aus Xenias Zimmer klangen Gesprächsfetzen. Vermutlich hatte sie Besuch von ihrer Freundin Maxine, die ebenfalls an der Filmhochschule studierte. Das Essen würde wohl für acht reichen müssen. Die Tür zu Ferdinands Zimmer stand offen. Er hatte die Regale ausgeräumt und war gerade dabei, eines zu verschieben. Bücher stapelten sich auf Boden, Tisch und Bett. »Soll ich dir helfen?«, fragte Dühnfort.
Ferdinand stoppte sein Unterfangen, das Möbelstück über eine Teppichfalte zu schieben. »Hallo, Tino. Das wäre prima.«
Gina blieb an den Türrahmen gelehnt stehen, das Buch über Carne in der Hand. Während die beiden das Regal an seinen neuen Platz rückten, fragte sie Ferdinand, ob er den Künstler kenne.
»Der ist im Kommen. Ziemlich expressiv. Sein Stil erinnert mich an manche Bilder von Francis Bacon.« Ferdinand arbeitete als Restaurator bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.
»Aber ein wenig durchgeknallt ist der schon.«
»Wärst du auch, wenn du so aufgewachsen wärst.« Mit dem Handrücken wischte Ferdinand sich den Schweiß von der hohen Stirn. Dühnfort streifte eine Spinnwebe ab, die an der Rückwand gehangen hatte und nun an seiner Hand klebte.
»Wie gut kennst du dich mit
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