So unselig schön
Wernegg.
Keine schlechte Idee. »Das wäre super.«
Durch den nieselnden Regen gingen sie zum Auto. Während der Fahrt fragte er, ob er das Radio wieder anmachen sollte.
»Ich verdaue noch das Stück von vorher. Wissen Sie, was das war?«
Verwundert wandte er für einen Moment den Blick von der Straße ab. »So kann man sich täuschen. Ihre Art zuzuhören … ich hätte gedacht, dass Sie mir sogar Orchester und Solisten nennen könnten.«
Vicki schob eine der widerspenstigen Locken aus dem Gesicht. »Ich habe keinen Dunst von klassischer Musik.«
Eine Ampel schaltete auf Rot. Wernegg hielt. »Ich bin mir nicht sicher, tippe aber auf Mozart. Wenn Sie möchten, finde ich es heraus.«
»Wie können Sie das herausfinden?«
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Ich rufe ganz einfach beim Sender an und frage.«
»Guter Plan. Darauf hätte ich selbst kommen können.«
Es wurde Grün. Wernegg fuhr weiter. Er wirkte mit einem Mal in sich gekehrt. Der Regen ließ nicht nach, die Feuchtigkeit brachte die Farben zum Leuchten. Eigentlich paradox, dachte sie. Woher kam das wohl?
»Sind Sie auch so hungrig wie ich?«
Vicki fuhr aus ihrer Überlegung hoch. »Geht so.« Was sollte das jetzt werden?
»Darf ich Sie zum Essen einladen?« Er sah kurz zu ihr hinüber, und sie bemerkte eine nachdenkliche Falte an der Nasenwurzel.
Nachdem er nun die Kohle für die Kids lockermachte, konnte sie schlecht ablehnen, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie das wollte. »Ja. Okay. Das geht in Ordnung.«
»Worauf haben Sie Lust? Italienisch, Asiatisch …«
»Am liebsten französische Küche«, platzte es aus ihr heraus. Jakobsmuscheln, Ziegenkäse, Entenbrust, Dorade, Gâteau au Chocolat. All diese Köstlichkeiten hatte sie seit zwei Jahren nicht mehr gegessen. Allein bei dem Gedanken daran bekam Vicki Hunger. Damals, vor zwei Jahren, hatte sie in einem kleinen Restaurant in der Rue Tardieu bedient, und jeden Abend nach getaner Arbeit hatte Jacques, der Koch, ihr höchstpersönlich ein leckeres Essen serviert. Du bist mager wie ein Stubenküken.
»Kennen Sie das Le Bousquerey ?«
Vicki schüttelte den Kopf.
»Es ist nicht weit von hier. Sollen wir das probieren?«
»Warum nicht?« Sie fragte sich, weshalb sie diese Einladung annahm. Es war nicht allein Höflichkeit, da war noch etwas anderes. Seit er ihr am Freitag diese dreiste Frage gestellt hatte, hegte sie den nicht sehr freundlichen Wunsch, ein wenig an seinem Lack zu kratzen, mal zu gucken, was sich hinter dieser schönen Oberfläche verbarg.
***
Wernegg stoppte vor dem Restaurant. Es wirkte unscheinbar. Eine Tür, zwei Fenster, darüber ein rotes Schild mit weißer Schrift. Le Bousquerey. »Wir sind da.«
Sie stiegen aus. Wernegg hielt ihr die Tür zum Restaurant auf. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen, dachte Vicki.
Etwa ein Dutzend weiß eingedeckter Tische mit schlichtem Geschirr, schnörkellosen Gläsern und Stoffservietten befand sich in dem kleinen Lokal. Etwa die Hälfte davon war mit Gästen besetzt. An einer Säule hing eine große Schiefertafel, auf der das menu du jour mit Kreide angeschrieben stand.
Es duftete nach Thymian und Knoblauch, nach Fisch und geschmortem Fleisch, nach Kaffee und Schokolade. Über all dem schwebte ein leiser Geräuschteppich von klapperndem Besteck, gedämpften Stimmen und Musik.
Ein Kellner kam auf sie zu. Sein Blick glitt an Vicki hinab bis zu den Moorleichen-Gummistiefeln. Ein verwunderter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, verschwand aber augenblicklich nach der Taxierung ihres Begleiters. Sie sah förmlich, wie der Mann sie flugs in die Schublade exzentrische Freundin eines Mannes mit Stil und Geld steckte.
Eine Minute später saßen sie an einem Tisch in der Fensternische. Als Aperitif bestellte Vicki Wasser.
»Gute Idee. Da schließe ich mich an. Ich muss heute noch ein Tennismatch gewinnen«, sagte Wernegg.
»Perrier, Vittel, Apollinaris?«, fragte der Kellner.
»Einfach nur Münchener Leitungswasser«, erwiderte Vicki.
»Und der Herr?«
»Auch da schließe ich mich an.« Ein kaum merkbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel, während er dem Kellner nachsah.
»Was wäre, wenn Sie das Match verlieren?«, fragte Vicki. War er so ein Ehrgeizling, der keine Niederlage einstecken konnte, immer Sieger sein musste?
Wernegg schien verblüfft über diese Frage. »Ein schlechter Freund vielleicht.« Seine Hände vollführten eine ratlose Geste und sanken dann auf den Tisch. »Ich muss einen Freund auf
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