So unselig schön
herausfinden. Hoffentlich bald.«
»Wir sollten ihn nach seinem Alibi für Freitagnacht fragen, als Jana verschwand«, meinte Dühnfort und stand auf.
Gina grinste. »Das war es, was ich sagen wollte. Wer fährt?«
***
Tue, was du tust. Diese Zen-Weisheit hatte er irgendwann aufgeschnappt und sie anfangs für einen albernen Spruch gehalten. Man tat immer das, was man tat. Dennoch hatte dieser Satz sich in seinem Kopf festgesetzt, hatte ein Eigenleben entwickelt und ihn nicht mehr losgelassen, bis er erkannt hatte: Man tat nicht immer das, was man tat. Jedenfalls nicht ausschließlich. Während man mit einer Sache beschäftigt war, waren die Gedanken bereits bei der nächsten und übernächsten. Häufig versuchte man auch zwei Dinge auf einmal zu erledigen – eine der Ursachen für Hast, Unruhe, Stress. Konzentrierte man sich hingegen ganz und gar auf das eine, das in dem Moment wichtig war, fand man zur inneren Ruhe.
Inzwischen hatte er gelernt, für einige Zeit all seine Aufmerksamkeit auf eine Tätigkeit zu fokussieren, alles auszublenden, was geschehen und was noch zu erledigen war. Während er las, dachte er nicht an das Studio, in dem die Kulisse für das Stillleben aufgebaut war; während er arbeitete, dachte er nicht an die neue Fotografie, die auf einer der Staffeleien stand; während er ein Gespräch führte, war er ganz bei der Sache und dachte nicht an das, was demnächst an einen anderen Ort gebracht werden musste. All das war für diese Zeit nicht existent.
In dieser Nacht galt sein ganzes Handeln jener Angelegenheit, an die er den ganzen Tag über nicht gedacht, von der er aber seit Freitag genau gewusst hatte, wie er sie erledigen würde.
Ein fahler Lichtstreifen stieg bereits am Horizont auf, als er müde ins Bett fiel. Zu Tode erschöpft, aber ruhig. Er fühlte sich gut, gelassen. Der Druck war gewichen, die Wut verschwunden. Er versank umgehend in einen tiefen Schlaf und begann dann zu träumen.
Ihm war, als ob jemand zu ihm unter die Bettdecke kroch, sich ein warmer Körper an seinen schmiegte; glatte, seidige Haut, ein kaum wahrnehmbarer Duft nach Bergamotte, Sandelholz, Ambra; das Gefühl von Nähe und Geborgenheit. Eine Hand glitt über seine Brust, cremte sie mit einer duftenden Emulsion ein, wanderte tiefer. Weit entfernt sang ein Vogel in einem Baum, ein tragender Ton voller Hoffnung, Glück verheißend.
Während er noch lauschte, stieg der Geruch nach wilden Erdbeeren auf und weckte eine schmerzhafte Sehnsucht, von der er wusste, dass sie unstillbar war.
Dennoch stand er auf und begann zu suchen; durchquerte eine fahle Landschaft, bis er eine Wüste erreichte. Wolken schoben sich vor die Sonne. Erst wurde es kühl, dann kalt. Die Natur verlor ihre Farben, wurde weiß, der Duft verschwand, auch der nach Bergamotte, Sandelholz und Ambra. Scharfkantige Kälte. Frostige Klauen umfingen ihn. Nackt stolperte er durch eine zerklüftete Eislandschaft. Grate schnitten in seine Fußsohlen, eine Blutspur markierte seinen Weg. Er wollte zurück in die Geborgenheit, wollte das seidige Gefühl an seiner Haut. Er sehnte sich nach diesem alles versprechenden Duft jener Frau, von der er nicht wusste, wer sie war.
Doch alles, was er betrachtete, verblasste und löste sich auf, bis er sich in einem eisigen, weißen Nichts befand. Allein. Nackt. Weinend. Nur dieser Ton war geblieben, der Hoffnung vorgab und Verzweiflung meinte.
Mit einem Schluchzen schreckte er aus dem Traum hoch. Tränen liefen seine Wangen hinab. Die namenlose Angst tobte in seiner Brust, in rasender Panik wie ein in die Falle geratener Vogel. Noch halb vom Schlaf umfangen, erkannte er, dass er verloren war.
M ONTAG , 14. J UNI
Das Morgenmeeting war vorüber, das Team hatte das Besprechungszimmer bereits verlassen. Dühnfort stand am Fenster und sah hinaus. Seit Freitagabend fiel der Regen stetig und fein.
Lichtenbergs Alibi stand auf wackligen Beinen. Zum Zeitpunkt von Janas Verschwinden hatte er sich im Hofbräuhaus mit einem Reporter getroffen und gab an, erst nach zweiundzwanzig Uhr gegangen zu sein. Der Reporter konnte diese Angaben zurzeit jedoch nicht bestätigen. Am Samstag war er beim Drachenfliegen verunglückt und lag nach einer schweren Operation im künstlichen Koma.
Merde, dachte Dühnfort. Nichts war fassbar. Buchholz arbeitete an einer Vergleichsanalyse der Ölfarbe an Nadines Handgelenk und der, die Lichtenberg verwendete. Schack war auf dem Weg ins Präsidium, und Dühnfort hoffte, dass er sich seiner Sache
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