So unselig schön
müssen wissen, wer das notiert hat. Ich fordere die Gästeliste des Atlantic an. Mit der beginnen wir. Wenn uns die nicht weiterbringt, arbeiten wir den Rest ab. Hat Buchholz sich schon gemeldet?«
Gina zog die Stirn kraus. »Die Farbe war nicht so einfach zu bekommen. Ein Kurier hat sie vor einer Viertelstunde gebracht. Die Jungs aus der KTU sind schon am Werkeln. Und was sagt Schack?«
»Er meint, es könnte auch ein BMW -Coupé gewesen sein. Ich rufe jetzt Leyenfels an …«
»Der beantragt nie und nimmer deswegen einen Durchsuchungsbeschluss. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Den Atem kannst du dir sparen. Es könnte ein BMW gewesen sein. « Gina verzog den Mund. »Mehr haben wir nicht. Warte die Analyse ab, dann haben wir etwas Handfestes. Oder auch nicht.«
Gina hatte ja recht. Er musste sich in Geduld üben.
Dühnfort braute sich einen Espresso und rief dann endlich Susanne Henke an, um ihr mitzuteilen, dass sie seit Samstag wussten, wo Lichtenberg sich aufhielt. Anschließend wählte er die Nummer des Hotels Atlantic in Hamburg. Eine Frau mit spröder Stimme meldete sich. Dühnfort erklärte, wer er war und welches Anliegen er hatte.
»Diese Karten liegen bei uns in den Zimmern und der Lobby aus. Die Gäste verwenden sie gerne für Notizen und um Nachrichten zu hinterlassen«, erklärte sie.
»Ich faxe Ihnen eine Namensliste. Wenn Sie die bitte mit Ihrer Gästeliste abgleichen würden. Uns interessiert, welche der dort aufgeführten Personen Ende Mai bei Ihnen gewohnt haben.«
»Das mache ich gerne. Die Karte muss allerdings nicht von einem Hausgast beschrieben worden sein. Wie gesagt, sie liegen in der Lobby aus. Die wird auch von Besuchern unserer Gäste oder als Meetingpoint genutzt.«
Merde, dachte Dühnfort.
»Sie rufen aus München an, haben Sie gesagt?« Ihre Stimme hatte mit einem mal etwas Zögerliches.
»Ja, weshalb fragen Sie?«
»Vor ein paar Tagen hat sich eine junge Frau bei mir gemeldet, ebenfalls aus München, eine Mitarbeiterin eines Reisebüros. Sie wollte eine ähnliche Information wie Sie. Natürlich habe ich sie ihr nicht gegeben.«
Dühnfort war überrascht. »Doch nicht Viktoria Senger?«
»Tut mir leid, an den Namen kann ich mich nicht erinnern.«
Der Anruf konnte nur von Vicki Senger gekommen sein. Wie, in drei Teufels Namen, kam sie dazu, Privatermittlerin zu spielen?
***
Vicki rief bei der Stiftung an, denn ohne Vorankündigung wollte sie bei Jobst nicht reinplatzen, und erfuhr, dass er bereits nach Hause gefahren war.
Da Jobst ihr gestern seine Adresse und Telefonnummer gegeben hatte, rief sie ihn an und fragte, ob sie ihm den Antrag heute noch bringen könnte. »Gerne«, sagte er. »Wann kommst du?«
Die nächste S-Bahn fuhr in knapp zwanzig Minuten, und dann musste sie noch die U-Bahn nehmen. »So in einer Stunde ungefähr.«
»Prima. Ich freue mich.«
Eine Viertelstunde später steckte Vicki den Antrag in den Rucksack und verabschiedete sich von Clara. »Danke noch mal für die Hilfe.«
»Hier. Nimm einen Schirm, sonst wirst du patschnass.« Clara zog einen Taschenschirm aus der Schublade mit Werbepräsenten und reichte ihn Vicki, die ihn dankend annahm.
Die S-Bahn war ausnahmsweise pünktlich und wenig besetzt. Vicki ließ sich einer älteren Frau gegenüber auf einen Fensterplatz plumpsen. Wie immer wurde sie kritisch beäugt. Klar, die Jeans war so brüchig wie die Lederjacke, an der nun der Blick der Frau haften blieb. Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, wurde weicher. Die feinen Falten, die das Gesicht überzogen wie kartografische Linien, wurden glatter, das helle Blau der Augen glänzender, ein rosiger Hauch erschien auf den Wangen und ein nach innen gerichtetes Lächeln, wie das eines verträumten jungen Mädchens. Wow, dachte Vicki. Was ist jetzt los?
Der Blick der Frau löste sich von der Lederjacke. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie so anstarre. Aber diese Jacke … eine amerikanische Fliegerjacke, nicht?«
Vicki nickte. »Das Teil ist steinalt.«
»So wie ich.« Die Frau lächelte vergnügt. »Wissen Sie, nach dem Krieg, als die Amerikaner hier stationiert waren, da habe ich mich in einen verliebt. In den Joe aus Boise in Idaho. Er war bei der U.S. Air Force und trug genau so eine Jacke wie Sie. War ein fescher Bursche. Aber leider verheiratet, wie sich nach zwei Jahren herausstellte.« Die Frau seufzte. »Trotzdem waren es zwei schöne Jahre.«
Das Handy in Vickis Rucksack gab Laut. Sie kramte es heraus
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