So unwiderstehlich reizvoll
entfernt, sich durch seine Unfreundlichkeit abschrecken zu lassen, betrat Olivia mit hoch erhobenem Kopf das Atelier. Ärgerlich zog Raphael die Tür unnötig heftig ins Schloss.
„Ich wollte von dir wissen, was es mit gestern Abend auf sich hatte“, kam Olivia ohne Umschweife auf ihr Anliegen zu sprechen.
Er tat überrascht. „Gestern Abend? Wieso? Hat es dir nicht gefallen?“
„Bestimmt nicht so gut wie dir!“ Sie lächelte anzüglich. „Warum hast du mir dein Kommen verschwiegen?“
„Du wirst es mir nicht glauben, aber gestern Morgen habe ich noch nichts davon gewusst.“
„So?“ Unruhig ging sie im Atelier auf und ab, nahm hier einen Pinsel in die Hand und betrachtete dort ein Foto. Am liebsten hätte Raphael es ihr verboten. „Und weshalb hat Lady Elinor dich so kurzfristig eingeladen?“
„Bin ich Hellseher? Es entspricht der Etikette, eine gerade Anzahl von Gästen am Tisch zu versammeln, das ist alles, was mir dazu einfällt.“ Raphael wurde immer wütender und ließ es sich anmerken.
Olivia blieb mitten im Zimmer stehen und betrachtete ihn nachdenklich. „Du willst es mir also nichts verraten. Dann erklär mir doch bitte, weshalb du Hals über Kopf das Haus verlassen hast. Warum hast du dich nicht von uns verabschiedet und noch ein Gläschen mit uns getrunken?“
„Nicht alle Leute haben einen Chauffeur. Wenn ich mich ans Steuer setze, trinke ich aus Prinzip nichts.“
„Wir hätten dich selbstverständlich mitgenommen, aber bevor wir es dir anbieten konnten, warst du schon verschwunden. Lady Elinor fand dein Verhalten übrigens auch nicht in Ordnung, das war ihr deutlich anzusehen.“
„Mag sein, aber ich war einfach müde und wollte ins Bett. Ich habe in letzter Zeit sehr viel arbeiten müssen – falls du nachvollziehen kannst, was das heißt.“
Doch Olivia zeigte sich unbeeindruckt. „Dein vorzeitiger Aufbruch hatte also nichts mit dieser – wie heißt sie doch gleich? – Juliet zu tun?“
„Mit Juliet?“ Hoffentlich wirkte sein ungläubiger Gesichtsausdruck überzeugend. „Wie kommst du denn darauf?“
„Tu doch nicht so! Ihr beide wart den ganzen Abend zusammen.“
„Wie bitte? Wir haben uns vielleicht eine halbe Stunde lang gemeinsam in der Bibliothek die Bilder angesehen.“ Er runzelte die Stirn, als müsse er angestrengt nachdenken. „Dann ist sie auf ihr Zimmer gegangen. Ich jedenfalls habe im Sessel gesessen und gelesen, bis eure Partie vorbei war.“
„Und das soll ich dir glauben?“ Sie lächelte spöttisch. „Ich frage mich, was Lady Elinor im Schilde führt. Natürlich genießt sie es, Cary nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Doch ihn zum Bridge zu zwingen und seine Verlobte mit einem anderen Mann aus dem Zimmer zu schicken, finde ich ausgesprochen unfair.“
„Fairness ist ein Fremdwort für Lady Elinor. Würdest du sie länger kennen, wüsstest du das. Und jetzt muss ich dich wirklich nach Hause schicken, sonst schaffe ich meine Arbeit nicht.“
„Und wer ist schuld an allem? Natürlich Marchese, dieser Bastard!“ Cary, der so eben die Autobahn erreicht hatte, gab ruckartig Gas. „Wenn er sich gestern Abend nicht eingemischt hätte, wäre das alte Mädchen vielleicht doch noch zur Einsicht gekommen.“
Aber Juliet schüttelte nur müde den schmerzenden Kopf. Für Carys Quengeleien fehlte ihr in dieser Situation jegliche Geduld. „Wenn Raphael sich nicht eingemischt hätte, wärest du in Teufels Küche gekommen. Du hast einen groben taktischen Fehler gemacht, Cary. Jedem, der den Brief von dem Makler kannte, musste klar sein, dass du ihn heimlich gelesen hast.“
„Das glaube ich nicht.“
„Aber ich.“ Juliet wurde deutlicher. „Warum musstest du mit ihr Bridge spielen und nicht Raphael? Weil sie dich bestrafen wollte, das ist alles. Für dich kann ich nur hoffen, dass sie die Sache bis zu deinem nächsten Besuch vergessen hat.“
„Und wie stellst du dir meinen nächsten Besuch vor? Wie soll ich dastehen, wenn ich ohne dich erscheine.“
„Um jedes Missverständnis auszuschließen, Cary, dieser Auftritt als deine Verlobte war eine einmalige Angelegenheit. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass es Lady Elinor freuen würde, wenn unsere Beziehung in die Brüche geht.“
„Wieso? Wir haben unsere Sache doch gut gemacht – eigentlich sogar ausgezeichnet. Und du hast dich doch auch geschmeichelt gefühlt, gib es zu. Du solltest mir dankbar sein. Frauen wie du erhalten selten eine zweite Chance, etwas aus ihrem Leben zu
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