So unwiderstehlich reizvoll
nicht, warum du die Bilder meiner Mutter vor mir versteckt hast.“
Nach dem kurzen Aufbäumen sank Lady Elinor nun zurück in die Kissen sinken. „Es war einfacher für mich. Christina war die Malerei wichtiger als die eigene Mutter, es hat sehr, sehr lange gedauert, bis ich ihr das zu verzeihen konnte. Seit sie in meinem Besitz sind, lagen ihre Bilder sicher verpackt auf dem Dachboden – zusammen mit deinen ersten Werken, die ich über einen Anwalt aufkaufen ließ.“
„Weshalb du das getan hast, ist mir ein absolutes Rätsel.“
„Für mich war es nur logisch.“ Sie seufzte. „Wenn niemand deine Bilder sah, konntest du auch nicht berühmt werden. Wenn ich schon meine Tochter an die Kunst verloren hatte, wollte ich wenigstens meinen Enkel behalten.“
Für einen Moment verschlug es Raphael die Sprache. Dann schob er den Stuhl zurück und setzte sich zu seiner Großmutter aufs Bett.
„Mich wirst du niemals verlieren.“ Er schloss sie in die Arme und lehnte die Stirn an ihre Schulter. „Manchmal bist du ja ein hinterhältiges altes Weib und schwer zu ertragen, trotzdem kann ich nicht anders, ich muss dich einfach lieb haben.“
Sehr sanft schob Lady Elinor ihn von sich. Ihr Gesicht hatte wieder etwas Farbe bekommen, und die Stimme klang fester. „Du bist so emotional wie deine Mutter. Ich dagegen bin aus anderem Holz geschnitzt und habe Probleme mit großen Gefühlen. Lass uns daher von etwas anderem sprechen. An jenem Samstag habe ich dich praktisch gezwungen, den Abend mit Juliet allein zu verbringen. Hast du mir meine List verziehen?“
Aus Angst, sie könnte seine wahren Gedanken lesen, stand Raphael auf und ging im Zimmer auf und ab. „Was gibt es da zu verzeihen? Cary ist es, bei dem du dich entschuldigen solltest.“ Anschließend war er stolz, wie unbeteiligt das geklungen hatte.
„Cary hat es mit Fassung getragen.“ Lady Elinor strich ihre Decke glatt. „Mit zu viel Fassung, wenn du mich fragst. Es scheint eine sonderbare Verlobung zu sein.“ Sie machte eine kleine Pause. „Juliet hat übrigens den Ring deiner Mutter, den ich ihr als Verlobungsring geschenkt hatte, auf dem Nachttisch liegen lassen.“
„Wahrscheinlich will Cary ihr einen anderen kaufen.“ Raphael weigerte sich, eine andere Erklärung für diese Tat zu finden. „Wie schön für dich, dich nicht davon trennen zu müssen.“
„Wenn du meinst.“ Lady Elinor wiegte bedächtig den Kopf. „Was hältst du übrigens von ihr?“
„Von wem?“ Raphael tat erstaunt und versuchte, Zeit zu gewinnen.
„Von Juliet natürlich, von wem denn sonst? Josies Meinung nach ist die Verlobung zum Scheitern verurteilt, weil Juliet viel besser zu dir passt.“
„Soll das ein Witz sein?“
„Das ist kein Witz, sondern Josies feste Überzeugung – und bestimmt nicht aus der Luft gegriffen.“ Lady Elinor ließ ihn nicht aus den Augen. „Oder willst du etwa behaupten, du hättest nie in diese Richtung gedacht?“
„Natürlich nicht.“ Ach, es war sinnlos, der alten Dame etwas vormachen zu wollen. „Juliet ist eine schöne und begehrenswerte Frau. Ein Mann müsste schon blind sein, um das nicht zu erkennen.“
„Und du bist nicht blind, wie wir alle wissen.“ Sie lächelte. „Jedenfalls nicht, wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was man dir nachsagt.“
„Du solltest nicht auf jedes dumme Geschwätz hören.“
„Das tue ich auch nicht. In einem Punkt allerdings stimme ich Josie zu. Juliet ist für Cary viel zu schade. Hoffentlich erkennt sie das noch rechtzeitig.“
14. KAPITEL
Juliet fand den Brief im Kasten, als sie von der Arbeit nach Hause kam.
Es dauerte noch eine ganze Zeit, bevor sie die Muße hatte, ihn zu öffnen. Zuerst öffnete sie alle Fenster, denn es war ein stickig heißer Julitag. Anschließend streifte sie die Pumps von den Füßen. Die elegante und manchmal sehr unbequeme Garderobe war der Preis, den sie für ihren Job in einer Boutique zahlen musste.
Schon jetzt sehnte sie den Tag herbei, an dem sie kündigen konnte. Doch noch brauchte sie ihn, um die Abendschule zu finanzieren. Sie belegte dort Kurse für Datenverarbeitung und Büroorganisation und erwies sich dabei zu ihrer eigenen Überraschung als sehr talentiert. Diese Arbeit machte ihr großen Spaß, und ihre Lehrer waren überzeugt, dass sie mit ihrem Abschlusszeugnis auf Anhieb eine interessante und gut bezahlte Stelle finden würde.
Momentan allerdings quälte sie sich noch mit dem ungeliebten Job und lebte von der Hand in den
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