So unwiderstehlich reizvoll
„Wohin willst du?“
„Was geht dich das an?“ Mit einer energischen Bewegung befreite sie sich. Schon die ganze Zeit über war sie wütend auf ihn, weil er tat, als sei sie ausdrücklich auf seinen Wunsch hin eingeladen worden. „Wir sehen uns nachher.“
„Du willst doch nur mit Raphael sprechen“, schnaubte er ärgerlich. „Vergiss ihn, Darling, und schenk deine Aufmerksamkeit lieber mir.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Jeder der Anwesenden hält uns für ein junges Paar kurz vor der Hochzeit“, fuhr er leise fort. „Um vor dem alten Mädchen nicht als Lügner dazustehen, habe ich nichts von einer Trennung verlauten lassen.“
„Du bildest dir also ein, ich wäre allein deinetwegen eingeladen?“
„Weshalb denn sonst?“ Cary lächelte selbstgefällig.
„Wenn du dich da nur nicht täuschst!“ Verächtlich musterte sie ihn. „Und wenn du unsere sogenannte Verlobung nicht heute noch öffentlich für beendet erklärst, werde ich dir diese Aufgabe abnehmen und vor allen Trauergästen die ganze Wahrheit über uns enthüllen. Und jetzt wage es nicht, mir zu folgen.“
Als Raphael am Auto lehnte und auf Josie wartete, sah er Juliet kommen. Mitleid und Beileidsbezeugungen waren das Letzte, was er sich von ihr wünschte. Um sie nicht spüren zu lassen, wie sehr allein ihre Nähe ihn aus der Fassung brachte, bemühte er sich um einen undurchdringlichen Gesichtsausdruck.
Wie selbstsicher und elegant sie aussieht, dachte er bitter. Lady Elinor hatte genaue Anweisungen für ihre Beerdigung gegeben und sich Trauerkleidung ausdrücklich verbeten. Mit einer lachsfarbenen Bluse zum silbergrauen Hosenanzug kam Juliet diesem Wunsch nach, ohne dabei respektlos zu wirken. Das Haar hatte sie im Nacken zu einem klassischen Knoten zusammengefasst, und dank ihrer Pumps brauchte sie, um ihm in die Augen zu sehen, nur leicht das Kinn zu heben.
Auf ihre Begrüßung erwiderte er nichts, sondern neigte nur leicht den Kopf. „Ich möchte dir nur sagen, wie sehr ich den Tod Lady Elinors bedauere. Ich kannte sie als starke und lebensbejahende Frau und war völlig schockiert, als ich Mr. Arnolds Brief erhielt“, begann sie das Gespräch.
„Der Notar hat dir geschrieben?“ Nachdenklich runzelte Raphael die Stirn. „Aber warum warst du schockiert? Lass Cary sein, wie er will, aber selbst er wird dir nicht verschwiegen haben, wie krank seine Großmutter schon seit Wochen war.“
Nervös nestelte sie am Verschluss ihrer Handtasche. „Verschwiegen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Seit unserer Abreise aus Tregellin haben wir uns nicht mehr gesprochen.“
„Was du nicht sagst!“ Raphael lachte hart. „Selbst wenn ihr es mit den Verpflichtungen einer Verlobung nicht so genau nehmt, werdet ihr doch zumindest in Verbindung stehen. Mir weismachen zu wollen, ihr hättet euch drei Monate nicht gesehen, ist einfach lächerlich.“
„Anscheinend glaubst du Cary mehr als mir. Wenn du die ganze Wahrheit hören möchtest, bitte, hier ist sie: Wie waren zu keinem Zeitpunkt richtig verlobt. Ich brauchte dringend Geld, um meine Stromrechnung zu bezahlen, und eine Referenz, um endlich einen Job zu bekommen. Daher habe ich mich dummerweise von Cary überreden lassen, gegen Bezahlung und ein schriftliches Zeugnis ein Wochenende lang seine Verlobte zu spielen.“
Das verschlug Raphael die Sprache. „Du hast dich von Cary bezahlen lassen?“
„Nein, als es soweit war, fühlte ich mich nicht in der Lage, das Geld anzunehmen. Nachdem ich Lady Elinor kennengelernt hatte, fühlte ich mich so … so …“ Tränen drohten, ihre Stimme zu ersticken.
„Moralisch verkommen? Zu Recht. Die alte Dame hätte euch aus dem Haus geworfen, wenn sie eure Machenschaften durchschaut hätte. Schämst du dich denn gar nicht?“
„Sehr sogar. Doch was hätte ich tun sollen? Ich konnte Cary gegenüber nicht wortbrüchig werden. Verstehst du das nicht?“
„Nein. In meinen Augen bist du ein geldgieriges Luder, das über Leichen geht – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn es wirklich keine echte Verlobung gegeben haben sollte, kann ich dir nur raten, das schnellstens nachzuholen. Nach der Testamentseröffnung wird Cary ein gemachter Mann sein.“
Eine Gruppe von Trauergästen näherte sich, und Juliet blieb für weitere Erklärungen keine Zeit. „Wenn du mich dafür verachtest, dass ich arbeitslos war und ein paar Pfund brauchte, um mich über Wasser zu halten, ist das deine Sache. Doch dank Carys Referenz habe ich jetzt einen
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