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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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leuchtende Farben.
    »Willst du nicht sehen, wie ich dich porträtiert habe?«, hatte sie Esther beim ersten Mal gefragt. Doch die hatte verneinend den Kopf geschüttelt.
    Umso interessierter zeigte sich Jakob. Er lobte Laura und feuerte sie an – doch sosehr er ihre Kunst bewunderte, so maßlos war er insgeheim darüber enttäuscht, dass sie in Esther nicht das zu sehen schien, was er in seiner Schwester sah. Hatte er sich so verändert? Oder Esther? Oder war vielleicht Lauras Sichtweise die einzig Richtige, hatte ihr unvoreingenommener Blick sich auf etwas konzentriert, was seinem liebenden Auge entgangen war? Die Frau, die auf den Bildern zu sehen war, hatte jedenfalls nichts gemein mit der frechen Göre, die ihn als Kind immer in den Wannsee geschubst und vor Vergnügen Schluckauf bekommen hatte, genauso wenig wie mit dem hübschen Mädchen, nach dem sich alle Männer am Strand umgedreht hatten und das öfter als andere Badegäste ins Wasser sprang, weil es einen perfekten Kopfsprung beherrschte und die bewundernden Blicke so genoss. Auf der Leinwand wirkte sie wie eine Ertrinkende.
    Die Ausstellung im September wurde von der Presse hoch gelobt. Dass von Laura ganze drei Arbeiten zu sehen waren, fand Jakob unmöglich – sie war ganz klar die Beste unter den Künstlern, die Jorge Kelekian unter Vertrag genommen hatte. Aber gut, ein Anfang war gemacht. Kelekian verkaufte bereits in der ersten Woche alle drei Gemälde von Laura, und das zu einem recht respektablen Preis. Dass von diesem Geld 60 Prozent dem Galeristen und nur 40 dem Künstler zustanden, erboste Jakob – aber er selber war es ja gewesen, der den Vertrag in seiner damaligen Euphorie nicht ganz sorgfältig gelesen hatte.
    »Komm her, du genialer Agent«, flüsterte Laura ihm im Bett zu, in der Nacht nach dem Verkauf des ersten Bildes, nachdem sie ausgerechnet hatten, welcher Reichtum nun auf sie zukäme, und nachdem sie den entscheidenden – ernüchternden – Paragraphen hundertmal gelesen hatten. »Ich finde, du schuldest mir etwas.«
    Es fiel ihnen sehr schwer, leise zu sein und Esther nicht aufzuwecken.
    Ende September kam Jakob mit der überraschenden Neuigkeit nach Hause, dass er für sich und Esther zwei Fahrkarten für die »Nea Hellas« in Aussicht hatte, ein griechisches Schiff, das nach New York fuhr. Er war so aufgeregt, dass Laura es nicht wagte, ihm die Freude zu verderben, indem sie ihm etwas von ihrem Verdacht erzählte. Aber vielleicht war ihre Periode ja auch nur wegen der hohen Belastung in den letzten Wochen ausgeblieben.
    Der Preis für die Passage war ungeheuerlich, und nicht einmal durch den Verkauf der kostbaren »Mauritius«, die Jakob für genau diesen Fall im Futter eines unscheinbaren Briefumschlags aufbewahrt hatte, konnten die Geschwister die Kosten bestreiten. Der Händler hatte Jakob nur einen Bruchteil dessen gezahlt, was die Briefmarke wert war. Auch die Cavalli-Geige brachte nicht viel ein. Wenn sie das Leben ihres Geliebten retten wollte, blieb ihr nur noch eines übrig, dachte Laura.
    Zusammen mit dem Erlös aus dem gestohlenen Diadem ihrer Mutter reichte das Geld schließlich, um die Tickets zu kaufen. Bereits zwei Tage später gingen die Geschwister an Bord. Laura war in Tränen aufgelöst – ob aus Erleichterung darüber, dass Jakob sich in Sicherheit bringen konnte, oder aus Trauer über sein Fortgehen, wusste sie nicht zu sagen. Auch Jakob setzten seine widersprüchlichen Gefühle arg zu, doch er ließ sich seine Zerrissenheit Esther zuliebe nicht anmerken.
    Esther hatte, obwohl sie nach wie vor vollkommen abwesend wirkte, genügend Feingefühl, um gleich die Kabine aufzusuchen und Jakob und Laura bei ihrem Abschied voneinander allein zu lassen. Laura hatte sich mittlerweile wieder im Griff, doch ihr Weinkrampf hatte die Augen schwellen und die Nase rot werden lassen. Sie wollte nicht, dass Jakob ein Bild von ihr als hysterisches Nervenbündel mit auf die Reise nahm.
    »Wenn ich genügend Geld zusammengekratzt habe, komme ich nach«, sagte sie in einem aufgesetzt fröhlichen Ton, den ihr verheultes Aussehen Lügen strafte. »Auf diesem Kahn da würde ich ohnehin niemals mitfahren.«
    »Na klar«, antwortete Jakob, »du kommst dann mit einem Luxusdampfer. Wenn du erst reich bist – oder wenn ich es bin, was schätzungsweise noch schneller passieren wird –, können wir dir eine geräumige Außenkabine mieten. Aber wehe, du flirtest mit all den Lustgreisen, die mitfahren. Oder mit dem

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