So weit der Wind uns trägt
Mutter von sieben erwachsenen Kindern, sich um Laura kümmern konnte. Es war ohnehin alles an Speisen vorbereitet, den Rest würde die verbleibende Küchenbrigade auch allein schaffen. Anschließend ging Jujú in den Garten, nahm den Doutor Paiva vertraulich am Arm und zog ihn ins Haus, als müsse sie seinen Rat zu einer unerfreulichen Erkrankung einholen. Drinnen schleppte sie ihn in Windeseile auf Lauras Zimmer und verdonnerte ihn zu absolutem Stillschweigen.
»Wo denken Sie hin, Dona Juliana! Das Ärztegeheimnis ist unantastbar.«
Ja, ja, dachte sie bei sich, außer in Pinhão, wo jeder über jedermanns Wehwehchen auf dem Laufenden war. Aber egal – dass ihre Tochter ein Kind bekam, war ja kein Geheimnis. Nur ausgerechnet heute, während sie all diese Leute im Haus hatten, musste ja nicht jeder wissen, was zurzeit hier oben passierte. Es war schließlich ein sehr privater – und eher unappetitlicher – Vorgang. Aber mit ein wenig Glück würde sich das Ganze so lange hinziehen, bis die Gäste längst wieder verschwunden waren.
Oh Gott, wie hatte sie nur so etwas denken können? Sie war eine Rabenmutter! Sie sollte sich wünschen, dass die Geburt so schnell wie möglich vorüber wäre, damit die arme Laura nicht länger litt als nötig.
Der Doktor enthob sie weiterer Gewissenskonflikte. »Es sieht so weit alles gut aus. Aber ich schätze, vor morgen früh werden Sie Ihr Enkelkind nicht in den Armen halten können.«
Die Prognose stimmte. Am 7 . Juni 1941 , um genau 7 . 06 Uhr, erblickte der kleine Ricardo das Licht der Welt, ein winziges, verschrumpeltes Wesen mit dicht behaartem Rücken, angesichts dessen abgrundtiefer Hässlichkeit sogar seiner Mutter die Tränen kamen.
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A llen Kriegswirren zum Trotz ging das Leben auch 1943 weiter. Lissabon war von Flüchtlingen überlaufen. In Scharen strömten die Leute an die Strände, um der drückenden Hitze der Stadt zu entkommen. Sie trugen von Jahr zu Jahr weniger am Leib, wenngleich die portugiesischen Damen sich niemals in so knappen Badeanzügen wie die Ausländerinnen zu zeigen gewagt hätten. Der Film »Amor de Perdição« war in die Kinos gekommen, in einigen lief noch immer »Vom Winde verweht«. Man tanzte Swing oder lauschte den herzzerreißenden Fados der jungen
fadista
Amália Rodrigues. Avantgardistischere Naturen hörten Ella Fitzgerald, Klassikliebhaber betrauerten den Tod von Sergej Rachmaninow. Ein gewisser Albert Camus machte unter den Intellektuellen Furore mit seinen Büchern, genau wie der spanische Schneider Balenciaga unter den wohlhabenden Senhoras mit seinen Kollektionen Entzücken hervorrief. Und eine Malerin namens Laura Lisboa erhitzte die Gemüter der kunstsinnigen Lisboetas.
»Laienhaftes Gekrakel«, befanden die einen, »ausdrucksstarke Meisterwerke« die anderen. Diejenigen, die dem Stil der LL nichts abgewinnen konnten, führten an, dass die »Künstlerin« – wenn es sich überhaupt um eine Frau handelte, was durchaus angezweifelt werden durfte – sich wohl kaum hinter einem Pseudonym verstecken und die Öffentlichkeit scheuen würde, wenn sie etwas taugte. Die anderen, unter denen die LL bereits zu einer Art Idol geworden war, entkräfteten dieses Argument damit, dass die Malerin menschenscheu war, wie es alle wahrhaftigen Künstler sein mussten. Sowohl die eine wie die andere Seite bekniete den Galeristen Oliveira, die Identität von Laura Lisboa preiszugeben. Aber Oliveira war nicht dumm. Die Spekulationen sollten gern so weitergehen – sie hielten das Interesse wach und die Preise hoch.
Laura war von ihrem eigenen Erfolg mehr als überrascht. Den Namen Lisboa hatte sie sich aus Dankbarkeit zu Jakob zugelegt, der einst als António Coelho Lisboa ihre Karriere in die entscheidende Richtung gelenkt hatte. Sie fand, dass sich »Laura Lisboa« genauso gut las, wie es sich anhörte, und offensichtlich fanden das andere Menschen ebenfalls. Laura hätte nie gedacht, wie viel ein wohlklingender Name in ihrer Branche ausmachte. Anfangs hatte sie sich unwohl gefühlt, wie eine Betrügerin, und hatte sich darum geweigert, für Fotos zu posieren und Interviews zu geben. Doch nach einer Weile hatte es ihr richtig Spaß gemacht, ihre Arbeiten mit einem zackigen LL zu signieren.
Berechnung war dabei nicht im Spiel gewesen, jedenfalls nicht ihrerseits und nicht zu Beginn ihres Aufstiegs. Erst als Oliveira bemerkte, dass eine geheimnisvolle LL die Phantasie der Menschen weit mehr beflügelte, als eine Laura da Costa, Mutter
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