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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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bestellt war – wenigstens ihre Schwestern hätten so viel Verständnis für sie aufbringen können, Ruis Fest zu boykottieren. Aber weit gefehlt, sie waren alle gekommen, kein Weg war ihnen zu weit gewesen: Mariana, Octávio und die drei Töchter, eine davon mit Ehemann, reisten, zusammen mit Beatriz, mit dem Zug aus Beja an; Isabel und Raimundo kamen mit dem Auto aus Lissabon, ihr Sohn erschien unabhängig von ihnen, am Arm eine langbeinige Blondine, die er als seine Verlobte vorstellte; Joana und Gustavo ließen sich von einem Chauffeur im Luxusgefährt vorfahren, während ihre vier erwachsenen Kinder, allesamt mit Ehepartnern und Sprösslingen, separat eintrafen.
    Meine Güte, wer sollte da noch den Überblick behalten? Und das waren ja nur ihre Leute. Ruis Geschwister hatten sich ebenfalls fleißig fortgepflanzt, so dass von dieser Seite noch einmal mindestens weitere 25 Personen dazukamen. Schade, dachte Jujú, dass ihre Eltern und ihr Schwiegervater das nicht mehr erleben konnten. Es hätte ihnen gefallen, dass sie so viele Nachkommen hatten. Einzig Dona Filomena war aus dieser Generation noch übrig, und die beinahe achtzigjährige Dame schien keinerlei Probleme damit zu haben, all ihre Enkel, deren Ehegatten und Kinder auseinanderzuhalten. Urenkel, ging es Jujú durch den Kopf, Dona Filomena hatte fünf Urenkel, und in Kürze käme noch ein weiterer hinzu. Jesus und Maria – hoffentlich wurde sie selber nie so alt, dass sie sich noch die Namen aller Urenkel merken musste! Es war schon schlimm genug, Großmutter zu werden.
    Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, trat in diesem Augenblick Beatriz zu ihr ans Geländer der Veranda. »Was für eine biblische Fruchtbarkeit – es ist wirklich
herzallerliebst
, was meine Schwestern im Laufe der Jahre alles an Nachwuchs produziert haben. Und die einzige Person unter all meinen Nichten und Neffen, die ich für schlauer gehalten hatte als den Rest, folgt nun der Familientradition. Freust du dich, Juliana, dass du Großmutter wirst?«
    »Natürlich tue ich das. Das würdest du auch tun …« An Beatriz’ Miene erkannte Jujú, dass ihre Schwester den Satz im Geiste zu Ende gesprochen hatte: »… wenn du keine alte Jungfer geblieben wärst.«
    »Ich verstehe nicht, wieso ihr euch so mit eurer Brut brüstet. Es ist schließlich keine Meisterleistung, Kinder in die Welt zu setzen. Jedes Tier macht das ohne großes Trara, ganz
en passant

    »Deine Meisterleistungen auf anderen Gebieten hast du uns ja leider vorenthalten. Wie fühlt man sich denn so, im Herbst eines vollkommen nutzlosen, unproduktiven Lebens, in dem man weniger geleistet hat als … jede Kuh?« Jujú hatte nicht vorgehabt, sich mit Beatriz zu streiten. Im Grunde tat sie ihr leid. Doch ihre biestige Art machte es einem wirklich schwer, die Contenance zu bewahren. Und auch wenn sie die Frage nicht in diesem aggressiven Ton hatte stellen wollen, so interessierte es sie doch, warum Beatriz ihr Leben so vergeudet hatte. Aber sie erwartete keine Antwort.
    Sie selber war damals durch ihre Schwangerschaft dazu gezwungen gewesen, den klassischen Weg für eine Frau einzuschlagen: Mann, Kinder, Haus und Heim. Immerhin war es ihr gelungen, sich höchstmögliche Selbständigkeit zu verschaffen. Aber Beatriz hätte doch, da ihr eine Familie verwehrt geblieben war, alles Mögliche machen können. Warum hatte sie nie einen Beruf ergriffen? Wieso war sie auf Belo Horizonte geblieben, um sich von Marianas Kindern piesacken zu lassen? Immer hatte sie die Pflege der Eltern als Argument bemüht, hatte ihre vermeintliche Aufopferung wie einen Schutzschild vor sich gehalten. Dabei hatte niemand sie darum gebeten. Und dieser Vorwand war mit dem Tod der Eltern ja auch irgendwann hinfällig geworden. Man duldete Beatriz auf Belo Horizonte jetzt nur als
unverheiratete Schwester
, allein das schon eine beleidigende, herabwürdigende Redewendung.
    Jujú meinte, ein Stöhnen aus einem der geöffneten Fenster im Obergeschoss zu hören. Aus dem Augenwinkel nahm sie plötzlich wahr, wie einige der Dienstboten eilig ins Haus liefen. Von ihren Gästen schien jedoch niemand etwas bemerkt zu haben. Außer Beatriz.
    »Deine Tochter wird doch wohl nicht«, raunte sie Jujú in süffisantem Ton zu, »nicht ausgerechnet an diesem deinem Glückstag … kalben?«
    Aber genauso schien es zu sein. Bei Laura hatten vorzeitig die Wehen eingesetzt.
    Jujú enthob die Köchin für diesen Tag all ihrer Pflichten in der Küche, damit die Frau, eine

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