Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
diese ihn. Warum also sollte sie jemanden zur Kinderbetreuung einstellen, wenn die Umstände so ideal waren? Ricardo war in guten Händen, ihre Mutter gut beschäftigt – und sie selber hatte die Freiheit, die sie zum Arbeiten brauchte.
    Diese Regelung brachte es allerdings auch mit sich, dass Laura ihre Mutter nun viel öfter sah als noch vor drei Jahren. Jedes Mal, wenn sie ihr Kind in die Rua Ivens brachte, stellten sich unangenehme Erinnerungen ein: an demütigende Streitereien, bei denen ihre Mutter immer zu Paulo gehalten hatte; an die merkwürdig sterile Eleganz der Wohnung, in der sich kaum persönliche Dinge, etwa Familienfotos, befanden; an ihre eigene diffuse Traurigkeit, die sie bei dem Gedanken überkommen hatte, dass sie eigentlich gar kein Zuhause besaß – weder der Quinta in Pinhão noch dem Internat, noch dieser Lissabonner Wohnung hatte Laura jemals heimatliche Gefühle entgegengebracht. Der einzige Ort auf der Welt, wo sie je so etwas gespürt hatte wie Nestwärme sowie die herrliche Entspannung und Zwanglosigkeit, wie man sie nur zu Hause erlebt, war Belo Horizonte.
    Und immer fielen Laura, kaum dass sie die Wohnung betrat, all die Geheimnisse ein, die sie vor ihrer Mutter hatte. Am meisten bedrückte sie das eigentlich harmloseste davon – der Diebstahl des Diadems. Laura war sicher, dass ihre Mutter, hätte sie ihr den Grund für die Notwendigkeit dieser Tat genannt, sogar Verständnis aufgebracht hätte. Aber Laura hatte es nie über sich gebracht – denn das wiederum hätte ja bedeutet, dass sie mehr über den Vater Ricardos hätte preisgeben müssen, als sie wollte. »Sein Vater ist in den USA und steht zur Ausübung väterlicher Pflichten in Europa nicht zur Verfügung«, war das Äußerste, was sie zu diesem Thema verlauten ließ. »Schickt er dir wenigstens Geld?«, hatte ihre Mutter weiter gefragt, und Laura hatte zu einer weiteren Lüge gegriffen: »Ja, natürlich.« Wie sonst hätte sie ihren plötzlichen Wohlstand erklären sollen? Denn dass sie diejenige war, die sich hinter dem Pseudonym Laura Lisboa verbarg, hatte sie selbstverständlich ebenfalls vor ihrer Mutter geheim gehalten.
    Manchmal sah ihre Mutter sie schräg von der Seite an und gab Laura das beunruhigende Gefühl, dass sie alles über sie wusste. Ja, sie waren einander ähnlich, nicht nur äußerlich – und das bedeutete dann wahrscheinlich auch, dass ihre Mutter das Herumschleppen bedrückender Geheimnisse aus eigener Erfahrung gut kannte.
    Jujú fand die Kommunikation mit ihrer Tochter ebenfalls beschwerlich. Jetzt, da Laura erwachsen und selber Mutter war, hätte sie sich gerne mehr mit ihr ausgetauscht, hätte gern ein freundschaftlicheres Verhältnis zu ihr gepflegt. Aber Laura sträubte sich vehement dagegen, sich ihr gegenüber zu öffnen. Es verlieh ihren Zusammenkünften etwas Beklemmendes, Fremdes, das in dieser Form zwischen Mutter und Tochter nicht hätte sein müssen. Jujú fragte sich, womit sie das verdient hatte. Die Antwort gab ihr Fernando: »Ist doch kein Wunder, dass sie dir nicht vertraut – so, wie du deinen Sohn ihr immer vorgezogen hast.«
    »Bitte, Fernando, fang nicht wieder mit diesen alten Geschichten an. Ja, mag sein, dass ich nicht immer gerecht war. Aber das liegt doch Jahre zurück. Jetzt, als erwachsene Frau, sollte sie über diesen Dingen stehen.«
    »So, sollte sie das? Vielleicht so, wie auch du über den Dingen stehst? Ehrlich, Jujú, du bist die nachtragendste Person, die ich kenne – und da willst du dieselbe Eigenschaft bei deiner Tochter nicht verstehen?«
    Jujú ignorierte diesen Einwand. Stattdessen jammerte sie weiter:
    »Sie weicht mir immerzu aus. Nicht einmal die harmlosesten Fragen beantwortet sie offen und ehrlich. Neulich habe ich sie gefragt, welchen Beruf der mysteriöse Kindsvater ausübt. Und weißt du, was sie mir sagt? ›Nichts, was auch nur annähernd deinen Vorstellungen von einem zahlungskräftigen zukünftigen Ehemann entspräche.‹ Solche Dinge sagt sie mir andauernd, und ich finde das offen gestanden mehr als unhöflich.«
    »Vielleicht hat sie recht«, schlug Fernando sich auf die Seite Lauras, die er nur als Kind kurz gesehen hatte und die er ausschließlich aus den Erzählungen Jujús kannte. Dennoch war ihm die Tochter Jujús auf unerklärliche Weise sympathisch. Sie schien all die guten Eigenschaften von Jujú geerbt, deren unschöne Züge aber nicht mitbekommen zu haben: Jujús Eigennutz, ihren Materialismus und ihre Eitelkeit. »Wenn

Weitere Kostenlose Bücher