So weit der Wind uns trägt
Portugiesisch nicht mehr ganz so perfekt wie noch vor drei Jahren, allein der Gebrauch eines altmodischen Wortes wie »obsiegen«, das er schätzungsweise im Wörterbuch hatte nachschlagen müssen, sprach Bände. Was Laura jedoch viel mehr bedrückte, war diese Frau, Elsa. Obwohl sie Jakob von ganzem Herzen gönnte, glücklich zu werden, und obwohl ihr bewusst war, dass er in den drei Jahren, die seit seiner Abreise vergangen waren, wohl kaum wie ein Mönch gelebt hatte, traf es sie zutiefst, dass er sich mit dieser Malerin angefreundet hatte.
Wenigstens bringt sie mich zum Lachen
, Teufel auch! Da hätte er ja gleich schreiben können, dass er sich in sie verguckt hatte. Und die Tatsache, dass er darüber hinaus nichts von Elsa erzählt hatte, ließ ebenfalls tief blicken. Wäre sie nur eine ganz normale Freundin, hätte er bestimmt mehr über sie berichtet, zumal sie auch Künstlerin war. Irgendetwas, da war sich Laura ganz sicher, war da im Busch zwischen Jakob und dieser Elsa – und es gab nichts, was sie von hier aus dagegen tun konnte.
Bevor der Krieg zu Ende war, konnte sie ihm unmöglich von ihrem Kind berichten. Alles in Laura schrie danach, Jakob jedes Detail, jeden Schluckauf, jedes Lächeln, jede Kolik und jedes neu gelernte Wort ihres gemeinsamen Sohnes mitzuteilen. Ricardo war ein ganz besonderes Kind, und er hatte ganz besondere Fähigkeiten. Zugegeben, laufen konnte er noch nicht so gut wie andere Zweijährige. Die Metzgersfrau im Parterre, Dona Maria José, hatte eine gleichaltrige Tochter, und die schwirrte schon durch die Gegend wie eine Große. Das Mädchen schlief auch schon, anders als Ricardo, seit mehr als einem Jahr durch, und Dona Maria José ließ keine Gelegenheit verstreichen, Laura unter die Nase zu reiben, dass entweder ihr Söhnchen leicht zurückgeblieben sei oder aber sie als Mutter versagt habe. Aber Laura glaubte keines von beidem. Sie war keine schlechtere Mutter als andere Frauen auch, und ihr Ricardo war alles andere als minderbemittelt.
Eher schien es ihr so, als wäre er mit zu vielen Gaben ausgestattet. Welcher Zweijährige konnte schon schreiben? Nun gut, richtig schreiben konnte Ricardo nicht, aber er legte aus Bauklötzen mit aufgedruckten Buchstaben Wörter, die er irgendwo gelesen hatte, »restaurante« etwa. Die Fähigkeiten ihres Sohnes fand sie manchmal schon ein wenig beängstigend. Meist aber erfüllten sie Laura mit unvorstellbarem Stolz und entschädigten sie für all die schlaflosen Nächte, die sie noch immer hatte. Anders als sie selber schien der Junge nicht mehr als vier Stunden Schlaf täglich zu brauchen, nie wirkte er übermüdet oder erschöpft. Erstaunlich, dieses Kind, ganz und gar erstaunlich.
Eine Weile hatte Laura geglaubt, sie als Mutter sähe vielleicht mehr in Ricardo, als wirklich an ihm dran war, so wie alle Mütter ihre Kinder für die schönsten und klügsten auf der Welt hielten. Aber dem war nicht so. Auch ihre Mutter, der Galerist Oliveira und die meisten von Lauras Freunden waren in höchstem Maße fasziniert von all den Dingen, die der Kleine schon konnte. Sie musste aufpassen, dass sie ihn nicht zu ihrem persönlichen Clown machten, so wie es vor ein paar Tagen bei Olga und Afonso geschehen war: Die beiden hatten Ricardo Kunststückchen vorführen lassen, wie zum Beispiel, dass er Spielkarten in einer zuvor bestimmten Reihenfolge auslegen sollte, was ihm fehlerfrei gelang. Das Kind besaß ganz offensichtlich ein fotografisches Gedächtnis, und Laura würde nicht zulassen, dass die Leute sich dieses Phänomen zu ihrer eigenen Belustigung zunutze machten.
Ihre Mutter schien die einzige Person weit und breit zu sein, die mit den Gaben ihres Enkelsohnes ganz normal umging, als sei es völlig selbstverständlich, dass der Kleine all diese Dinge schon konnte. Sie behandelte ihn, wie es einem Zweijährigen von seiner Großmutter zustand: mit großer Zärtlichkeit. Sie überhäufte ihn mit verniedlichenden Kosenamen, streichelte, küsste und drückte ihn, wann sie nur konnte, und gab ihm alles, was Laura sich einst von ihr gewünscht hätte. Ganz so hartherzig war ihre Mutter also doch nicht, dachte Laura. Irgendetwas musste ihre Fähigkeit, ihren Kindern Liebe zu schenken, blockiert haben – aber jetzt, mit dem Enkelsohn, zeigte sich, dass sie durchaus über ein Herz verfügte.
Laura nahm die Dienste ihrer Mutter als Kindermädchen häufiger in Anspruch, als sie es für richtig hielt. Aber der Junge vergötterte seine Großmutter. Und
Weitere Kostenlose Bücher