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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Verbleib des Fotos fragte, behaupten, es sei verloren gegangen. Sie würde letztlich ihn, nicht Paulo bestrafen.
    Sorgen darüber, dass Paulo mit dem Foto einen ernst zu nehmenden Schaden anrichten könnte, machte Fernando sich keine. Elisabete wusste im Grunde Bescheid, desgleichen Rui – da durften sie eigentlich auch die genaue Identität des außerehelichen Verhältnisses erfahren. Ihre Kinder waren, mit Ausnahme Albertos, erwachsen und würden sich nicht unbedingt vor Kummer oder vor Angst, die Eltern könnten sich scheiden lassen, verzehren. Presse und Öffentlichkeit konnten kein nennenswertes Interesse daran haben, alte Privatfotos zu sehen. Fernando war ja kein Filmstar, sondern nur ein General, dem man auf den Politikseiten ein wenig Platz einräumte, und das auch nur im Augenblick. Nicht einmal der diesjährige portugiesische Medizin-Nobelpreisträger António Egas Moniz hatte sich länger als drei Tage auf den Titelseiten gehalten. In ein paar Wochen wäre der Rummel um Fernandos Person abgeflaut, und dann würde es erst recht niemanden mehr interessieren, ob, wann und mit wem er einmal an der Riviera war. Außerdem war es ja wirklich so, dass er dann immer noch alles abstreiten konnte, so wie er es vorhin bei Paulo getan hatte. Er könnte sogar ein bisschen Wahrheit einfließen lassen, um seine Glaubhaftigkeit zu erhöhen:
Ach ja, was war ich als ganz junger Bursche in dieses Mädchen verschossen. Kinder, Kinder, wie die Zeit vergeht.
    Nach exakt einer halben Stunde klingelte Fernandos Telefon. Er nahm den Hörer ab und brauchte eine halbe Minute, bevor er sich wieder in der Gegenwart zurechtfand und begriff, was der Anrufer von ihm wollte. Paris. NATO . Westunion. Beistandspakt. MC 14 / 1 . Lauter Dinge, mit denen Jujú sowieso nicht belästigt werden wollte.
    Vielleicht war es besser, dass er in den kommenden Jahren auf sie verzichten musste.

34
    A ntónio Cabral war es gewohnt, dass man ihm nicht zuhörte. Er war es ebenfalls gewohnt, dass die Kinder mit Papierkügelchen nach ihm warfen, dass sie hinter seinem Rücken obszöne Gesten machten, deren Bedeutung sie nicht verstanden, und dass sie sich sogar noch damit brüsteten, wie schlecht sie in Mathematik waren. Es war kein schönes Los, Lehrer an einer Dorfschule zu sein. Viel lieber wäre er Geistlicher geworden, aber diese Laufbahn war seinem jüngeren Bruder vorbehalten gewesen. Er selber hatte dem Druck der Eltern nachgeben und in die Fußstapfen seines Vaters treten müssen. Schon lange fragte sich
professor
Cabral nicht mehr, wie er es so weit hatte kommen lassen können. Genauso wenig beschäftigte ihn noch die Frage, warum in Gottes Namen der Dorfpfarrer und der Dorflehrer angeblich so bedeutende Persönlichkeiten in der Gemeinde waren. In seinen Augen waren beide nur arme Schweine, die sich ihr Leben lang an der unlösbaren Aufgabe aufrieben, aus dummen Kindern Menschen zu formen, die nicht gar so dumme Sünden begingen. Er war jetzt 58  Jahre alt, und die einzige Sache, die ihn noch interessierte, war seine Pensionierung. Er hatte genug von all diesen frechen Gören, ungeschlachten Trampeln und unverschämten Grobianen.
    Was António Cabral nicht gewohnt war, waren Widerworte, die den Inhalt seines Unterrichtes betrafen. Störenfriede gab es jede Menge, aber einen Schüler, der die Korrektheit einer an die Tafel geschriebenen Gleichung anzweifelte, hatte Cabral in den fast 25  Jahren seiner Lehrtätigkeit nie erlebt. Kein einziges Mal. Wahrscheinlich lag es daran, dass er zunächst gar nicht genau hinhörte, als diese Rotznase von Ricardo ihm etwas zurief, natürlich ohne sich vorher gemeldet zu haben und abzuwarten, bis er aufgerufen wurde. Erst als der aufsässige Bengel erneut rief, diesmal lauter, horchte Cabral auf.
    »Es kommt gar nicht 125 dabei heraus. Es muss 135 ergeben.«
    »Und woher willst du das wissen, da Costa? Hast du neuerdings einen Universitätsabschluss in Mathematik?«
    »Nein, aber wenn Sie einen bekommen haben, würde ich auch einen kriegen.«
    Was zu viel war, war zu viel. António Cabral war ein ruhiger, besonnener Mann. Aber wenn er derartig gereizt und vor der ganzen Klasse beleidigt wurde, musste er wirksame Maßnahmen ergreifen. Festen Schrittes marschierte er an das zerkratzte Pult des Jungen, nahm ihn am Schlafittchen und zerrte ihn nach vorn.
    »Du entschuldigst dich jetzt in aller Form für dein Betragen. Anschließend kannst du dem Unterricht von der Ecke aus folgen.«
    Doch Ricardo tat nichts

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