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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Zigarren von
tio
Inácio funktioniert, der bereits seinen eigenen Sohn, Xavier, des heimlichen Rauchens bezichtigte. Ricardo hätte sich totlachen können.
    Weniger lustig war es, dass unzählige seiner Flugzeuge im Stausee gelandet waren, wo er sie in den seltensten Fällen retten konnte. Einmal, als ein ziemlich gut gelungenes Exemplar in die Mitte des Sees gesegelt war – der Beweis dafür, dass es, abgesehen von dem Linksdrall, wirklich gut gelungen war, denn der See war sehr groß – war Ricardo mit dem Kopf zuerst und ohne sich zuvor auszuziehen hinterhergesprungen. Doch das Wasser hatte den Flieger ruiniert. Nach dem Trocknen waren die Tragflächen wellig gewesen, andere Teile hatten sich durch die Bruchlandung gelöst und waren versunken.
    Das Problem mit dem Linksdrall musste er ebenfalls noch lösen. Er war ja nicht so blöde, seine schönen Werke mitten in den See zu werfen. In den angrenzenden Wald allerdings ließ er sie auch nicht aufsteigen. Er warf sie in die einzig mögliche Richtung, nämlich parallel zum Ufer. Aber immer und immer wieder drifteten sie ab. War mit seiner Wurftechnik etwas falsch? Oder musste er der Windrichtung mehr Bedeutung beimessen?
    Die Beobachtung der Insekten, die über der Wasseroberfläche herumschwirrten, war zwar ausgesprochen fesselnd, hatte ihn jedoch auch nicht ernsthaft weitergebracht. Er brauchte einen Motor, um das Flirren von Libellenflügeln, die Beweglichkeit einer Mücke oder das hektische Auf und Ab einer Fliege nachzuahmen. Dem eleganten Tanz der Mückenschwärme konnte er darüber hinaus wenig abgewinnen – die Viecher waren einfach zu blutrünstig für seinen Geschmack, und besonders schienen sie sein Blut zu lieben.
    Als er kurz vor Beginn der Sommerferien nach Hause kam, an Armen und Beinen verstochen und mit Schlamm an den Sandalen, wartete seine Mutter mit strenger Miene auf ihn.
    »Da bist du ja endlich. War es schön heute in der Schule?«
    Ricardo horchte auf. Klang da etwas Drohendes durch? Er musste äußerste Vorsicht walten lassen, wenn seine Mutter in dieser Stimmung war. »Hm, ja. Wie immer.«
    »Das heißt, du hast wie immer den Lehrer geärgert und mit deinen Klassenkameraden die jüngeren Kinder auf dem Schulhof getriezt?«
    »So ungefähr.«
    »Nein, nein, ich will es genau wissen. Erzähl doch mal.«
    Ricardo schwieg. Sein Verdacht, dass die Mutter mehr wusste, als ihm recht sein konnte, erhärtete sich.
    »Ich will wissen, wie es im Unterricht läuft. Wie wird dein Zeugnis ausfallen?«
    »Schlecht.«
    »Aha. Und warum, wenn ich fragen darf? Bist du zu dumm für den Stoff?«
    »Du glaubst mir ja doch nicht.«
    Laura war entsetzt über diese Antwort. Es erfüllte sie mit unendlicher Traurigkeit, dass ihr Kleiner ihr kein Vertrauen mehr schenkte. Er war erst neun Jahre alt, du liebes bisschen! Das war zu jung, um sich von der Mutter zu lösen, zumal, wenn die Dinge so lagen wie bei ihnen. Sie war schließlich die einzige Person, der Ricardo sich hätte anvertrauen können, da er ja weder einen anwesenden Vater noch Geschwister hatte. Wann war er ihr entglitten? Was hatte sie falsch gemacht? Hätte sie ihn härter anpacken müssen? Aber was sollte man mit einem Sohn machen, der schon als Krabbelkind eine außergewöhnliche Selbständigkeit sowie eine herausragende Intelligenz an den Tag gelegt hatte? Sie hatte geglaubt, ihm entgegenzukommen, wenn sie nicht wie eine Glucke über ihn wachte. Doch das Gegenteil war eingetreten. Ihr Mangel an Autorität hatte nur bewirkt, dass er jetzt auch vor keinem anderen Menschen mehr Respekt hatte. Aber vielleicht war es noch nicht zu spät. Er war noch so jung – bestimmt würde er wieder auf die richtige Spur kommen, wenn sie ihn ab jetzt ein wenig mehr lenkte und auf ihre Rechte als Mutter pochte. Denn dass er nicht versetzt werden sollte, wie es ihr heute Morgen die Mutter eines Kindes in Ricardos Klasse erzählt hatte, konnte sie einfach nicht hinnehmen.
    »Ich glaube dir. Aber nur, wenn ich das Gefühl habe, dass du mich nicht belügst.«
    »Ach so. Das heißt, wenn du das Gefühl hast, ich belüge dich, auch wenn ich die Wahrheit sage, glaubst du mir nicht.«
    »Leg es aus, wie du willst. Und jetzt sag mir endlich, warum Violante Veríssimo mir beim Friseur erzählt hat, dass du sitzenbleibst, während ihr Hohlkopf von Sohn ein Spitzenzeugnis mit nach Hause bringt.«
    »Weil es wahrscheinlich stimmt. Ich habe keine Ahnung. Ich war nämlich schon länger nicht mehr in der Schule. Und ich gehe

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