So weit der Wind uns trägt
niemandes
Familie
, sondern nur ein uneheliches Kind, rieb sie ihm gern und bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Nase.
Nach der Gemüsesuppe trug Tante Octávia, nein:
Großcousine
Octávia, den Hauptgang auf. Er bestand aus zerkochten Kartoffeln und zähem Schweinefleisch, das in einer öligen Sauce ertrank. Ricardo schaufelte das Essen schnell und in größtmöglicher Menge in sich hinein, stand dann auf, nahm seinen Teller mit in die Küche, wo er ihn im Spülbecken deponierte, und verließ das Haus. Er hörte, dass ihm Inácio etwas nachrief, doch es kümmerte ihn nicht. Nichts wie weg hier.
Hätte Ricardo mehr Geld gehabt, wäre er weder zum Essen noch zum Schlafen
nach Hause
gekommen. Aber das wenige, das er hatte, ging fast komplett für Benzin oder Autozubehör drauf. Ein paar Escudos blieben dann noch, um gelegentlich eine Cola zu trinken oder Zigaretten zu kaufen. Als er mit vierzehn beschlossen hatte, die Schule für immer hinter sich zu lassen, hatte seine Mutter ihm das Taschengeld drastisch gekürzt, damit er sich gezwungen sah, wenigstens eine Lehre zu machen. Aber Ricardo ließ sich nicht gern zu irgendetwas zwingen, schon gar nicht zu einer bescheuerten Lehre in der Autowerkstatt von José Pinto. Ricardo war dem Mechaniker und seinen beiden Handlangern haushoch überlegen, wenn es um knifflige Probleme bei Motoren ging, und er sah es überhaupt nicht ein, sein Können und seine Arbeitskraft in den Dienst solcher Trottel zu stellen, wenn er nicht auch ordentlich dafür bezahlt wurde. Lieber schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch.
Es hatte sich herumgesprochen, dass der junge da Costa ein Händchen für Reparaturen aller Art hatte. Mal musste er in der Villa des Bürgermeisters einen Staubsauger zusammenbauen, den eine Putzfrau unsachgemäß zerlegt hatte, weil sie bislang nichts anderes als Teppichklopfer gekannt hatte, mal rief man ihn in den Friseursalon, weil eine Trockenhaube viel zu heiß wurde und der Senhora Tavares beinahe das von einer Dauerwelle strapazierte Haar vollends ruiniert hätte. Er setzte die Traktoren und Mähdrescher von Bauern instand, er frisierte die Autos von reichen Söhnen, er sah nach den Lockenstäben, Rührmixern oder Bügeleisen wohlhabender Matronen.
Nur mit der Bezahlung nahmen es die meisten Leute nicht so genau. Der Bürgermeister hatte ihm zum Dank auf die Schulter geschlagen und gemeint, er wolle bei der nächsten Gesetzeswidrigkeit, die Ricardo beging, ein Auge zudrücken. Die Chefin des Friseursalons hatte ihm gratis einen Haarschnitt verpasst, der Ricardo nicht gefiel. Die Bauern gaben ihm Lebensmittel mit, die Senhoras drückten ihm ein paar Münzen in die Hand, die reichen Söhne versprachen ihm, dass er ihre Wagen einmal fahren dürfe – sobald er alt genug dafür wäre.
Ricardo wusste, dass die Leute ihn nicht nur gern bestellten, weil er schnell und zuverlässig war, sondern vor allem, weil sie sich auf seine Diskretion verlassen konnten. Wer wollte schon den Elektriker Andrade im Haus haben, damit sich das alte Klatschmaul nachher in der Kneipe genüsslich über die maroden Installationen oder Geräte oder, Herr bewahre!, andere Dinge, die er so zu sehen bekam, auslassen konnte? Die Leute glaubten außerdem, dass sie so einen jungen Spund nicht teuer zu bezahlen brauchten, was insofern stimmte, als Ricardo nie viel verlangte. Er verlangte nur,
dass
seine Arbeit honoriert wurde. Wenn nicht heute, dann morgen. Er brauchte nicht Buch zu führen über all die Gefälligkeiten und Escudos, die man ihm schuldete. Er hatte genau im Kopf, wer was wann zu begleichen hatte, und er dachte nicht daran, irgendwem etwas davon nachzulassen. Wenn Dona Margarida wieder einmal seiner Dienste bedurfte, was angesichts des Zustandes ihrer Waschmaschine, die Ricardo beim letzten Mal nebenbei mit in Augenschein genommen hatte, nicht mehr allzu lange dauern konnte, dann würde er auf Vorkasse bestehen.
Heute hatte er auch so einen Fall. Er hatte der Frau von António Gomes versprochen, nach ihrem Plattenspieler zu sehen – aber der gute Senhor António schuldete Ricardo noch die Bezahlung für die Anbringung einer neuen Türklingel, die schon ein Vierteljahr zurücklag. Wahrscheinlich hoffte Gomes, dass Ricardo diesen kleinen Gefallen inzwischen vergessen hätte. Doch Ricardo vergaß nie etwas. Sein Gedächtnis war so exakt wie die Bücher eines gewissenhaften Buchhalters.
»Ah, Ricardo, gut, dass du da bist. Wir wollen morgen eine kleine Party
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