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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich.

4
    E rdbeerbäume,
medronheiros
, gedeihen am besten im Halbschatten größerer und stärkerer Bäume. Oft bilden sie ein kräftiges, zuweilen sogar undurchdringliches Gestrüpp.
Medronheiros
sieht man häufig an Waldlichtungen oder am Wegesrand. Es handelt sich streng genommen nicht um Bäume, sondern um Büsche, die aber, wie etwa im Monchique-Gebirge, sehr hoch werden können.
    Der größte Erdbeerbaum, den Jujú je gesehen hatte, war der auf der Anhöhe zwischen Milagres und Várzea. Aus einer Laune der Natur heraus stand dieses weit verzweigte Gewächs dort völlig isoliert inmitten eines Weizenfeldes und war schon von weitem zu sehen. Jetzt, im September, waren seine Früchte, die Baumerdbeeren, reif. Die
medronhos
schmeckten Jujú nicht besonders gut, dennoch zupfte sie eine rote Beere nach der anderen ab und steckte sie sich in den Mund. Mit irgendetwas musste sie sich ja die Zeit vertreiben, bis Fernando aufkreuzte.
    Es war fünf Uhr am Nachmittag, und in dem langen Schatten, den der
medronheiro
in Richtung Osten warf, ließ es sich gut aushalten. Jujú hatte eine Decke auf dem stoppeligen Boden ausgebreitet, doch einige der kurzen Getreidehalme drangen durch den Stoff und piksten sie. Ein paar Fliegen umschwirrten sie, angelockt wohl von dem süßen Duft der Früchte, die bereits zu Boden gefallen waren. Jujú scheuchte sie mit ihrem Hut weg. Wo blieb Fernando nur? Länger als bis sechs Uhr hätte sie heute keine Zeit für ihn: Auf Belo Horizonte hatte sich Besuch angekündigt. Jujús Abwesenheit würde auffallen, und ihre Mutter würde wieder unangenehme Fragen stellen. Ausgerechnet jetzt ließ er sie warten! Bald wäre sie fort, dann würde sie nur noch von Fernandos Lippen, seinen kräftigen Händen und seinen unergründlichen Augen träumen können. Jede Minute mit ihm wollte sie auskosten – und er trödelte herum!
    »Warten Sie auf jemanden, Menina Juliana?«
    Jujú zuckte zusammen. Fernando hatte sich ihr unbemerkt von hinten genähert. Sie hatte erwartet, ihn aus Richtung Várzea kommen zu sehen.
    »Himmel, Fernando! Du hast mich erschreckt! Wo kommst du überhaupt her?«
    Er setzte sich auf die Decke, legte die Arme um sie und zog sie eng zu sich heran. Ihre Lippen waren dunkelrot und schmeckten nach den Früchten des Erdbeerbaums. Auf der Haut ihres Gesichtes spürte er einen Hauch von Schweiß, die feinen Härchen an ihren Schläfen kringelten sich.
    Jujús Ärger über sein spätes Kommen verflog sofort. Wofür brauchte sie seine Erklärungen oder Entschuldigungen, wenn sie solche Küsse bekam? Dafür lohnte sich die Warterei allemal!
    »Ich wurde im Stall gebraucht – eine Kuh hatte Probleme beim Kalben.«
    »Mein Gott, Fernando. Was für ein Thema, um einen Kuss zu unterbrechen und die Liebste damit zu belästigen! Erspare mir bloß die Einzelheiten.« Sosehr Jujú Fernandos pragmatische Art auch bewunderte und so gern sie sich seinen Tagesablauf schildern ließ – manchmal war er einfach zu direkt. »Gibt es eigentlich irgendetwas, wobei du entbehrlich bist? Ich bin sicher, dass die Männer es auch ohne deine Hilfe geschafft hätten.«
    »Eben nicht. Das Kalb lag …« Fernando unterbrach sich rechtzeitig, als er Jujús bösen Blick wahrnahm. »Ach, komm her,
meu amor
.« Er umfing ihren Oberkörper mit beiden Armen und drückte sich fest an sie. Er beugte den Kopf, um ihren schlanken, weißen Hals mit kleinen Küssen zu bedecken. Dann wanderten seine Lippen zu ihrem Ohr hinauf. »Ich habe eine Überraschung für dich«, flüsterte er und fuhr mit der Zunge leicht über ihre Ohrmuschel. Durch das dünne Gewebe seines Hemdes und den feinen Stoff ihres Kleides spürte er, dass Jujús Brustwarzen sich aufrichteten.
    »Ich habe auch eine für dich.« Aber noch nicht jetzt, dachte Jujú. Noch würde sie ihm diese Überraschung nicht mitteilen. Noch wollte sie die schöne Stimmung des Spätnachmittags nicht dadurch zerstören, dass sie ihm von den Plänen erzählte, die ihre Eltern mit ihr hatten. Es würde ihm das Herz brechen. »Du zuerst«, hauchte sie ihm ins Ohr.
    »Ich habe den Fotografen Afonso dazu überredet, mir einen Sonderpreis zu machen und am Sonntag nach der Messe sein Atelier für uns zu öffnen. Und dichthalten wird er auch. Wir können endlich eine Fotografie von uns beiden anfertigen lassen, wie findest du das?«
    »Großartig.« Jujú grübelte kurz darüber nach, was Fernando wohl gegen Afonso in der Hand haben mochte, dass dieser Geizkragen sich auf solche

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