So weit der Wind uns trägt
der Decke baumelte. Tageslicht gab es in der Zelle keines. Wenn sie lange genug hier drin gehockt hatten und ihr Schlaf-wach-Rhythmus total durcheinander war, spurten die Gefangenen besser. Der Tenente holte zu einem neuerlichen Schlag aus, doch diesmal wurde er zurückgehalten.
»Das reicht jetzt. Er soll bei Bewusstsein bleiben.« Der Vorgesetzte von Alberto Morais trat etwas näher an den Häftling heran. Er rümpfte die Nase – diese Befragungen waren wirklich sehr unappetitlich.
»Heb ihn auf. Fessle ihn wieder an den Stuhl.«
»Jawohl,
comissário
.«
»Und dann lass mich eine halbe Stunde mit ihm allein.«
Der Tenente folgte gewissenhaft den Anweisungen seines Chefs und verließ die Zelle. Seiner Meinung nach hätte der Spaß ruhig noch ein wenig länger dauern können. Diese alentejanischen Gotteslästerer waren zäh.
Als er mit ihm allein war, hob Paulo da Costa das Gesicht des Sträflings an, um ihm in die Augen sehen zu können. Der Mann war übel zugerichtet. Paulo begegnete einem hasserfüllten Blick, den er lächelnd erwiderte. Dieser Mann stellte keine Gefahr mehr dar. Seine Nase war gebrochen, zwei Schneidezähne ausgeschlagen, die Augen zugequollen.
»So, mein lieber Felipe. Wir sind
en famille
, sozusagen. Möchtest du vielleicht jetzt meiner freundlichen Bitte, endlich deine Aussage zu machen, Folge leisten?«
»Bastard!« Felipe spuckte Paulo an. Der bräunliche Klumpen landete direkt auf Paulos cremefarbenen Wildlederslippern, was diesen mehr zu ärgern schien als die verbale Beleidigung.
»Diese Schuhe haben fast 50 Pfund Sterling gekostet. Ich werde die Summe mit auf deine Rechnung setzen. Zusammen mit den Kosten, die wir wegen deiner Widerspenstigkeit haben.«
Felipe konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Er wünschte sich, in Ohnmacht zu fallen, damit er vorübergehend von seinen Schmerzen und von der Folter befreit wäre. Aber er blieb wach.
»Also, dann noch einmal von vorne: Wir wissen, dass eure konspirativen Treffen jeden Mittwochabend stattfinden, in der Universität und getarnt als literaturwissenschaftliches Seminar. Wirst du mir jetzt die Namen deiner Mitverschwörer nennen, oder soll ich sie alle einzeln verhören? Die hübsche Rothaarige zum Beispiel, die würde ich mir sogar persönlich vornehmen …«
Felipe schloss die Augen und versuchte nachzudenken. Aber er war zu logischem Denken nicht mehr in der Lage. Der Schmerz hatte seinen Geist besiegt.
»Und deine Schwester, willst du dir die auch persönlich vornehmen?«, brachte er mühsam hervor. Seine Aussprache war undeutlich.
»Bitte strapaziere deine Kräfte nicht unnötig, indem du so törichte Fragen stellst. Der Einzige, der hier fragt, bin ich. Du antwortest nur.« Paulo ging näher an den Gefangenen heran, der erbarmungswürdig aussah – und überaus abstoßend. Dann trat er mit dem metallverstärkten Absatz eines cremefarbenen handgearbeiteten Schuhs auf die Zehen des Häftlings, so lang und so fest, bis Felipe endlich in die erhoffte Bewusstlosigkeit sank.
Laura war außer sich vor Zorn. Am Abend hatte eine Teilnehmerin des »Seminars« sich bei ihr gemeldet und berichtet, dass man Felipe verhaftet und zum Verhör nach Lissabon gebracht hatte. Die junge Frau hatte ihr die beiden PIDE -Polizisten genau beschrieben, und obwohl keine der Beschreibungen auf ihren Bruder zutraf, war sich Laura ganz sicher, dass Paulo dahintersteckte. Dieser Widerling! Dieser Verbrecher! Dieses Schwein! Irgendjemand musste ihn doch aufhalten können! Und während sie unter normalen Umständen niemals ihre Eltern um Hilfe gebeten hätte, war es genau das, was sie jetzt tat. Vielleicht hatten sie noch ein winziges bisschen Einfluss auf diese Ausgeburt des Bösen.
»
Mãe
, diesmal ist er zu weit gegangen«, empörte sie sich gegenüber ihrer Mutter. »Er hat Felipe verhaften lassen, und allein bei der Vorstellung, was er ihm alles antun kann, wird mir übel. Bitte tu etwas! Enterbe ihn, belege ihn mit einem Fluch, was auch immer, aber bitte tu etwas!«
Jujú war ebenfalls schockiert, konnte aber beim besten Willen nicht glauben, dass Paulo körperliche Gewalt anwenden würde, schon gar nicht bei dem Lebenspartner seiner Schwester.
»Hör mal, Schatz. Du bist aufgeregt, das ist verständlich. Aber glaubst du wirklich, dass Paulinho deinem Felipe etwas zuleide tun könnte? Und außerdem: Wenn Felipe sich nichts hat zuschulden kommen lassen, dann passiert ihm doch auch nichts, oder? Du wirst sehen, sie entlassen
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