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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ihn sofort, sobald sie seine Aussage zu Protokoll genommen haben. Bestimmt hast du ihn spätestens morgen wohlbehalten wieder.«
    Oh Gott! Ihre Mutter war wirklich die naivste Person auf dem Erdball. Laura hielt es für aussichtslos, sie über die Heimtücke der Geheimpolizei aufzuklären oder über das Demokratieverständnis eines Diktators wie Salazar. Ihre Mutter würde ohnehin nicht begreifen können, wieso andere Leute das Bedürfnis verspürten, ihre Meinung frei zu äußern – sie selber war ja eine ausgemachte Expertin in Sachen Geheimniskrämerei.
    »Leg dich wieder hin und träume süß!« Wutentbrannt knallte Laura den Hörer aufs Telefon. Also schön, vielleicht war ihr Vater ihr eine größere Hilfe.
    »
Pai
, Paulo hat Felipe verhaftet! Kannst du diese Missgeburt irgendwie stoppen?«
    »Immer schön der Reihe nach: Wann ist das passiert? Bist du sicher, dass Paulo dafür verantwortlich ist? Weißt du, wohin sie Felipe gebracht haben? Und gibt es irgendeinen Grund zu der Annahme, dass sie etwas gegen ihn in der Hand haben?«
    Laura holte tief Luft und resümierte die Eckdaten des Vorgangs, so wie man ihn ihr geschildert hatte. Mit größter Vorsicht gab sie ihrem Vater außerdem zu verstehen, dass es sehr gut möglich wäre, dass Felipe nicht immer ganz regimetreu gehandelt, sich dabei aber ihres Wissens keines nennenswerten Verbrechens schuldig gemacht hätte. »Es sei denn, du betrachtest es als Straftat, dass er für die Pressefreiheit eingetreten ist.«
    »Ich werde mich mit Paulo in Verbindung setzen und erst einmal hören, was er dazu zu sagen hat.«
    »Ja, ja, und dann lässt du ihm wieder alles durchgehen und glättest mit deinem Geld die Wogen.« Ihre Stimme zitterte. »
Pai
, wenn er Felipe auch nur ein Haar krümmt, wird alles Geld der Welt das nicht wiedergutmachen können.« Erneut legte sie auf, ohne sich zu verabschieden. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte.
    Es war, als wäre ein Damm gebrochen. Kaum hatte sie damit angefangen, waren ihre Tränen nicht mehr aufzuhalten. All die ungeweinten Tränen über ihr eigenes Versagen als Mutter, über die Untreue Felipes und über die Missstände in Portugal brachen plötzlich mit einer Gewalt hervor, die Laura nicht für möglich gehalten hätte. Wann hatte sie je so geheult? Sich regelrecht geschüttelt in einem Weinkrampf? Sich derartig hineingesteigert in ihre Wut und ihre Trauer, dass sie kaum noch Luft bekam?
    Längst war die Sorge um Felipe in den Hintergrund getreten. Sie war nur der Auslöser gewesen. Jetzt weinte sie um sich, um ihr ganzes verpfuschtes Leben. Sonst würde es ja keiner tun. Auf dem Höhepunkt ihres Selbstmitleids stellte Laura sich ihre eigene triste Beerdigung vor, zu der kaum jemand kommen, geschweige denn eine Träne vergießen würde. Wer würde ihren Tod schon betrauern? Sie würden den teuersten Sarg kaufen und die größten Kränze niederlegen und das am schönsten gelegene Grab aussuchen und den redegewandtesten Pfarrer engagieren. Aber weinen würde niemand um sie.
    Ein paar Leute würden sich sogar ausgesprochen freuen, wenn sie das Zeitliche segnete: Ihr größter Sammler, ein Bankier aus Genf, würde sich jedenfalls die Hände reiben, wenn ihre Gemälde plötzlich das Dreifache wert wären.

39
    E s würde nicht mehr lange dauern. Sie waren schon fast so weit. Und jetzt würden sich die Amerikaner noch mehr beeilen. Nach dem Sputnikschock im vergangenen Jahr konnte es der Westen nicht auf sich sitzen lassen, dass die Sowjets ihm im Wettlauf um die Eroberung des Alls eine Nasenlänge voraus waren. Sie würden zum Mond fliegen, und sie würden Menschen dort landen lassen. Vor wenigen Tagen, am 29 . Juli 1958 , hatte der amerikanische Präsident Eisenhower ein Papier unterzeichnet, das dieses ehrgeizige Vorhaben noch beschleunigen würde. Der »National Aeronautics and Space Act« sah die Schaffung einer US -amerikanischen Raumfahrtbehörde vor und hatte als erklärtes Ziel, bemannte Raumfähren auf den Mond zu schicken, bevor es die Sowjets taten.
    Fernando hoffte, dass er diesen Tag noch erlebte. Er sah auf seine Hände, die knotig waren und voller Altersflecken. Wäre er nur fünfzig Jahre später zur Welt gekommen! Es wären ihm nicht nur zwei furchtbare Weltkriege erspart geblieben, sondern er hätte vielleicht sogar an der Eroberung und Erforschung des Weltalls teilhaben können. Ja, wenn er heute noch einmal jung sein könnte, würde er alles dransetzen, in die USA zu gehen und dort zu

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