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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ihn sich auch vom Zölibat der Padres versprach: Wer keine eigenen Kinder hatte, dessen elterliche Hingabe würde sich ein Ventil suchen, würde sich auf andere Menschen oder Dinge konzentrieren, an denen er diese naturgegebene Regung, die jedem Christen innewohnte, zum Einsatz bringen konnte.
    Die Wege des Herrn waren vielleicht unergründlich, aber Dona Aldora zweifelte nicht daran, dass ihr Schöpfer sie zur Hüterin der Kommunalen Leihbücherei vorbestimmt hatte. Ihr graute bereits vor dem Tag, an dem sie pensioniert werden würde. Die Jugend war so nachlässig! Die junge Fernanda zum Beispiel. Hatte studiert, nannte sich diplomierte Bibliothekarin, machte kein Hehl daraus, dass sie ihre Vorgesetzte so schnell wie möglich ablösen wollte – und war dabei nicht einmal in der Lage, die Basisregeln eines jeden gewissenhaften Bibliothekars zu beherzigen. Sie ließ sogar Fristen verstreichen, ohne den Ausleihern Mahnungen zu schicken!
    Aber ein paar Jahre blieben Dona Aldora noch, und wenn der Allmächtige es wollte, würde er ihre Erziehung der schusseligen Fernanda vielleicht mit einem Erfolg belohnen. Sie sah auf die Wanduhr und schüttelte empört den Kopf. Zwei Minuten nach neun, und das Mädchen war immer noch nicht da. Unerhört. In diesem Augenblick hörte Dona Aldora das charakteristische Quietschen der ersten Glastür. Durch diese Tür kam jeder Besucher und auch jeder Angestellte der Bibliothek. Dahinter lag ein kurzer Flur, und erst an dessen Ende lag die zweite Glastür, die direkt in das Allerheiligste führte. Nun ja, vielleicht war noch nicht Hopfen und Malz verloren. Zwei Minuten Verspätung waren eben noch zu tolerieren, befand Dona Aldora in einer seltenen Anwandlung von Großzügigkeit. Sie schob ihre Lesebrille vorn auf die Nase, um der Sünderin darüber hinweg einen strengen Blick zuzuwerfen. Doch durch die zweite Tür kam gar nicht Fernanda, und es kostete Dona Aldora all ihre Selbstbeherrschung, um nicht erschrocken dreinzublicken.
    »
Bom dia
«, sagte ein älterer Herr, den sie hier nie zuvor gesehen hatte.
    Sie erwiderte den Gruß und sah ihn fragend an. Irgendetwas an ihm kam ihr bekannt vor.
    »Mir wurde gesagt, ich würde hier ein paar internationale Zeitungen lesen können.«
    »Das ist richtig.« Dona Aldora war stolz auf ihr gepflegtes Zeitungsarchiv. »Wir haben hier Zeitungen und Zeitschriften aus Angola, Mosambik, Goa, Macau und anderen portugiesischen Kolonien. Auch ausgewählte englische, französische, deutsche und spanische Periodika werden Sie hier finden. Allerdings nicht die aktuellsten Ausgaben – es dauert immer ein wenig, bis sie bei uns ankommen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Nur zu gut, Senhora …«
    »Aldora Freitas.«
    »Sehr angenehm. Ich bin Fernando Abrantes.« Er lächelte ihr zu, sie lächelte huldvoll zurück.
    Er gefiel ihr, dieser offensichtlich wohlsituierte Mann mit den gepflegten Umgangsformen.
    »Verzeihen Sie meine Neugier, aber Sie sind nicht von hier, oder? Ich habe Sie noch nie in der Stadt gesehen.«
    »Oh, das liegt an Ihrer Jugend«, antwortete Fernando. »Ich bin ursprünglich schon von hier – nur habe ich meine Heimat vor einem halben Jahrhundert verlassen.«
    Dona Aldora war leicht errötet. Ein so nettes Kompliment hatte sie zuletzt vor fünfzehn Jahren gehört, als der Lehrer António Cabral ihr den Hof gemacht hatte – allerdings ein wenig zu zurückhaltend, so dass sie seinem Werben nicht nachgegeben hatte. Etwas Hartnäckigkeit war in ihren Augen eine der Grundvoraussetzungen für einen Verehrer. Eine anständige Frau konnte schließlich nicht schon dem ersten Versuch eines Mannes nachgeben. Hätte Cabral auch nur einen Bruchteil des Eroberungsgeistes seines historischen Namensvetters besessen, wäre sie jetzt höchstwahrscheinlich Senhora Aldora Cabral – und Witwe. Der Lehrer war vor zwei Jahren einem Schlaganfall erlegen. Gerade noch rechtzeitig zwang sich Dona Aldora, sich nicht zu bekreuzigen. Sie war schließlich nicht allein.
    Sie erklärte dem freundlichen Besucher ihrer Bibliothek – denn dass es die ihre war, daran gab es nichts zu rütteln, das sahen sogar die Stadtväter so, die sich hier bedenklich selten sehen ließen –, wo er die gewünschten Publikationen einsehen konnte. Sie führte ihn in den großen Lesesaal und erklärte ihm in einem Ton, der deutlich weniger eindringlich war als der, den sie Schülern gegenüber anwandte, die Bibliotheksregeln. Der nette Herr Abrantes machte einen durchaus

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