So weit der Wind uns trägt
studieren. Er würde sich von dieser noch zu gründenden Raumfahrtbehörde anwerben und sich zum Piloten einer Mondrakete ausbilden lassen. Er würde zu den ersten Männern gehören, die den Mond betraten. Und ganz gleich, welche Ödnis ihn dort erwarten würde, eines wäre gewiss: Von dort hätte er garantiert die Distanz zur Erde und zu all den unerfreulichen Vorkommnissen der Gegenwart, die ihm jetzt fehlte. Er seufzte stumm. Nur fünfzig Jahre trennten ihn von diesem Traum! Erdgeschichtlich betrachtet war das eine verschwindend kleine Zeitspanne – aber für ihn bedeutete es eine unüberwindbare Ewigkeit.
Schluss damit! Er hatte sich nie mit Bedauern und Jammern aufgehalten und würde es auch jetzt nicht tun. Es ließ sich ja doch nicht ändern. Und wenn der Himmel für ihn wegen seines Alters nicht mehr erreichbar war, dann würde er sich eben auf die Erde besinnen. Zum Rasenmähen und Umgraben der Beete war er durchaus noch geeignet – Fernando erfreute sich bester Gesundheit. Er legte die Wissenschaftsseite der Zeitung beiseite, stand auf und ging zu dem Flur hinter der Küche. Dort befanden sich seine Arbeitsstiefel, Handschuhe und ein Hut, der ihn vor der brennenden Sonne schützen würde. Durch den Hinterausgang seines gemieteten Häuschens ging er in den kleinen Garten.
Das Gärtnern entsprach zwar nicht unbedingt den Vorstellungen, die Fernando von körperlicher Arbeit hatte, aber es war die beste Alternative gewesen. Er besaß kein eigenes Land, das er hätte bewirtschaften können, und er konnte auch schlecht auf anderer Leute Grund und Boden wirken. Sollte er etwa einen der Landbesitzer darum bitten, eine Korkeiche schälen zu dürfen? Oder ein Weizenfeld mit der Sense zu mähen? Die würden ihn ja für einen völlig senilen Greis halten und aus dem Verkehr ziehen! Aber der Garten war gar nicht so schlecht, und Fernando hatte dem Vermieter die Erlaubnis abgerungen, darin nach Belieben schalten und walten zu dürfen, solange er nicht gerade die Bäume fällte. Wahrscheinlich hatte der Vermieter sich ins Fäustchen gelacht und sich diebisch darüber gefreut, dass er zusätzlich zu den Mieteinnahmen nun auch noch einen Dummen hatte, der sich gratis um den verwahrlosten Garten kümmerte.
Fernando stemmte die Arme in die Taille, sah sich um, griff nach einer Hacke und machte sich an die Arbeit. Er grub, schaufelte, hackte, mähte, schleppte und rackerte den ganzen Tag lang, ohne zu bemerken, wie die Sonne immer tiefer sank – und ohne auch nur einen Augenblick lang die Hitze als unangenehm zu empfinden. Nur die Fliegen störten ihn. Er hatte in all den Jahren in der Stadt vergessen, welche Plage die Biester sein konnten, wenn sie ständig um einen herumschwirrten und sich in großer Zahl auf einem niederließen, anscheinend immun gegen jede Art von Wedeln und Fortscheuchen.
Am Abend holte Fernando sich einen Stuhl nach draußen, begutachtete stolz sein Tagewerk und sah dem Mond beim Aufgehen zu. Es war schon lange her, dass er so zufrieden mit sich und der Welt gewesen war. Er nahm einen Schluck von dem Bier, das er zur Feier des Tages geöffnet hatte. Eine riesige, weißliche Scheibe kam allmählich hinter den sanft geschwungenen Hügeln hervor und flutete das Land mit einem gespenstisch hellen Licht – ein großartiges Schauspiel. Sogar der Mond, dachte Fernando, sah im Alentejo schöner aus als in Lissabon. Jeder, der sich über die trockenen Sommer im Landesinnern beschwerte, sollte sich einmal an diesem Mond ergötzen, und er würde nie wieder an dem Klima herumkritteln. Wie es wohl wäre, da oben zu stehen und einen Blick auf die Erde zu werfen? Ah, verflucht! Nun war er doch wieder in Gedanken bei der Mondlandung, die ihm auf immer verwehrt bleiben würde!
Aldora Freitas war eine Frau mit Prinzipien. Zu diesen zählte etwa die strikte Einhaltung der Zehn Gebote, genau wie Pünktlichkeit, Gesetzestreue, wöchentliches Beichten sowie die penible Instandhaltung der Bibliothek. Sie ließ es nicht zu, dass das Reinigungspersonal schluderte oder dass Nutzer der Bücherei andere Schreibgeräte als Bleistifte mit in den Lesesaal nahmen. Sie hatte es zu ihrer persönlichen Mission erklärt, den Buchbestand der Stadtbücherei zu hegen und zu pflegen, als handele es sich um ihre Kinder. Und in gewisser Weise war es ja auch so. Da ihr das Glück einer eigenen Familie von Gott nie gewährt worden war, brachte sie nun den Büchern mütterliche Gefühle entgegen. Es war der gleiche Prozess, wie man
Weitere Kostenlose Bücher