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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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deutlich zwischen ihren Schenkeln spürte. Hätten sie nicht noch ihre Kleider angehabt, wäre es jetzt so weit gewesen.
    Doch die Leidenschaft des Augenblicks wurde jäh zerstört: Die Scheinwerfer eines herannahenden Wagens erfassten sie. Ricardo und Marisa lösten sich voneinander und blinzelten in das Licht. Es war nicht zu erkennen, wer da kam.
    »Es ist Joaquim, dieser Volltrottel«, sagte Ricardo schließlich mit rauher Stimme. Er räusperte sich. »Das Knattern des Motors ist unverkennbar.«
    Joaquim stieg nicht aus seinem Wagen aus. Er fuhr so dicht an das Paar heran, wie er nur konnte, und kurbelte das Fenster herunter. »Ricardo, schnell! Deine Oma kratzt ab!«
     
    Auf der Fahrt nach Belo Horizonte sprachen Marisa und Ricardo kein Wort miteinander. Ricardos Gedanken kreisten um verpasste Gelegenheiten und falsche Zeitpunkte. Worüber er sich nicht den Kopf zerbrach, war Joaquims schonungslose Wortwahl. Sie passte zu ihm, und es hätte Ricardo viel mehr erschüttert, wenn sein Freund etwa gesagt hätte, »deine Großmutter liegt im Sterben« oder »sie ringt mit dem Tod«. Manche Dinge veränderten sich eben nie, und dazu gehörte auch Joaquims Mangel an Sensibilität. Es war der einzige tröstliche Gedanke, den Ricardo während dieser nicht enden wollenden Fahrt hatte.

41
    S ie kamen durch ein verrostetes Gittertor. Die Türen hingen schief in den Angeln an zwei gemauerten Pfosten, die einmal sehr imposant ausgesehen haben mussten. Jetzt aber blätterte die Farbe von diesen halbrunden Torbögen ab, und einige der Azulejos, auf denen der Name des Anwesens stand, waren abgefallen. »B_lo Ho__z__te«, las Marisa. Sie hatte keine Schwierigkeiten, die fehlenden Buchstaben im Geiste zu ersetzen. Belo Horizonte. Hier also wohnte Ricardo.
    Sie fuhren eine Kiesauffahrt hinauf, die mehr aus Schotter und unregelmäßig festgefahrenem Lehm bestand. An ihrem Ende erhob sich ein riesiges, wunderschönes Herrenhaus. Eine Quinta aus dem vorigen Jahrhundert, die jetzt, im Mondschein, von einer entrückten Schönheit war, die Marisa schaudern ließ. Je näher sie dem Haus kamen, desto mehr jedoch erkannte sie, dass es sich in einem erschreckenden Zustand der Verwahrlosung befand. Hier hatte seit Jahrzehnten niemand mehr irgendetwas repariert. An den Türen und Fensterläden bröckelte der Lack, durch die Mauern zogen sich tiefe Risse, und etwas, das einmal ein Gemüsegarten gewesen sein mochte, war zur Unkenntlichkeit verdorrt. Nur ein wenig Unkraut wuchs noch unter den durchgetretenen Stufen hervor, die zum Hintereingang führten.
    Sie lief hinter Ricardo her, der sie gar nicht mehr zur Kenntnis nahm. Die Nachricht hatte ihn furchtbar aufgewühlt, und Marisa hatte nicht gewagt, ihn an ihre Gegenwart zu erinnern oder daran, dass sie irgendwann nach Hause musste. Also heftete sie sich einfach an seine Fersen, in der Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht so schlimm um seine Großmutter stünde. Sie betraten das Haus durch den rückwärtigen Flur, der zur Küche führte. Es standen verkrustete Stiefel herum, an den Haken hingen Regenmäntel und Hundeleinen, die schönen alten Bodenfliesen waren abgesplittert und in den größeren Lücken grau zugespachtelt worden. Dann kamen sie in die Küche, und hier endlich bemerkte man Marisas Anwesenheit.
    »Gehört deine todkranke Großmutter neuerdings zu den Touristenattraktionen?«, blaffte Octávia Ricardo an.
    Der drehte sich herum und merkte erst jetzt, dass Marisa ihm die ganze Zeit gefolgt war. Er erwiderte nichts auf Octávias verletzende Bemerkung.
    »Wo ist sie?«
    »Im Wohnzimmer.« Octávia runzelte die Brauen. »Ich weiß nicht, wieso, aber sie fragt andauernd nach dir.« Es widerstrebte ihr offenbar, dies zuzugeben. Ihre eigene Mutter lag im Sterben, und nach wem verlangte es sie in der Stunde ihres Todes? Nach dem Enkel ihrer Schwester!
    Ricardo lief ins Wohnzimmer. Mariana saß in ihrem Rollstuhl und bot ein Bild des Grauens. Auf der Stirn hatte sie eine nur notdürftig versorgte Wunde. Sie röchelte.
    »Was habt ihr mit ihr gemacht?«, fragte er Octávia, die mit einer Kanne Tee hinter ihm den Raum betreten hatte.
    »Nichts. Sie ist die Treppe hinuntergefallen. Ich habe keine Ahnung, wie sie es aus ihrem Zimmer überhaupt ohne Hilfe bis zum Treppenabsatz geschafft hat, aber es ist ihr ja anscheinend gelungen.«
    »Habt ihr einen Arzt verständigt?«
    Octávia nickte. »Er hat gesagt, man könne nichts weiter tun, dann ist er sofort weitergefahren, zur Paulinha, die

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