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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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dass es ja tatsächlich Octávias Mutter war, aber nur seine Großtante, die hier, mit nunmehr geschlossenen Augen und völlig ermattet, vor ihnen saß. Das gab Octávia wohl das Recht, ein wenig Zeit für sich und Mariana allein einzufordern – auch wenn ihr Verhalten es ihr nicht gab. Wäre Oma Mariana die Treppe herabgestürzt, wenn Octávia sich um sie gekümmert hätte? Also bitte.
    Dennoch verließ er das Wohnzimmer. Er ging hinter Marisa her in die Küche. Es sah darin aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Ricardo schämte sich, dass Marisa dieses Durcheinander und diesen Schmutz sah. In der Spüle türmten sich Teller und Tassen, auf der Arbeitsfläche klebten nicht identifizierbare Bröckchen, und auf dem Boden sah man eingetrocknete Flecken von irgendeiner vergossenen Flüssigkeit.
    »Ich haue jetzt besser ab«, sagte Marisa, ohne ihm in die Augen zu sehen.
    »Ja. Hier, nimm meinen Pick-up.« Er reichte ihr die Schlüssel. »Ich kann ihn mir morgen abholen.«
    »Ich …«, Marisa suchte nach den richtigen Worten, doch ihr kamen nur Plattitüden in den Sinn. »Also … es tut mir leid, was mit deiner Großmutter passiert ist. Ich schätze, wir sehen uns dann nicht mehr, bevor ich zurück nach Lissabon fahre und du wieder in der Kaserne sein musst, oder?«
    Ricardo hob ratlos die Schultern. »Eher nicht.«
    »Na dann – mach’s gut.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. »Schade.« Damit drehte sie sich um und ging.
    Ricardo blieb wie angewurzelt in der Küche stehen. Erst als er hörte, wie der Wagen angelassen wurde und wie gleichzeitig Octávia nach ihm rief, rührte er sich wieder. Er lief ins Wohnzimmer. Octávia kauerte neben dem Rollstuhl ihrer Mutter und schluchzte laut. Ihr Kopf lag auf Marianas Schoß. Er ging zu den beiden, tastete nach Marianas Puls und streichelte zart Octávias Kopf, etwas, was er, wäre er bei Verstand gewesen, niemals getan hätte. Dann floh er, rannte in sein Zimmer und heulte, wie er es nicht einmal als Kind getan hatte.
     
    Die Feindseligkeit, die zwischen Ricardo und seiner leiblichen Großmutter herrschte, war beinahe mit Händen greifbar. Ricardo hatte Dona Juliana angeblich angebetet, als er ein Kleinkind war – doch soweit er selber sich erinnern konnte, hatte er sie nie besonders gemocht. Sie war seiner Mutter viel zu ähnlich. Jetzt kam noch hinzu, dass er ihr ihre schöneren Lebensumstände missgönnte. Dass sie blendend aussah und sich offensichtlich einer robusten Gesundheit erfreute, war einfach nicht gerecht. Warum hatte nicht sie so siech sein können und dafür Oma Mariana quicklebendig und elegant und gepflegt? Warum hatte nicht sie an Marianas Stelle sterben können? Dona Juliana würde sowieso niemandem besonders fehlen. Nur ihrer Schwester – die heute beerdigt werden sollte.
    Ricardo hatte mit sich gerungen, ob er Juliana sagen sollte, dass Marianas letzte Gedanken bei ihr gewesen waren. Oma Juliana verdiente es gar nicht, dass eine so herzensgute, liebe und mitfühlende Frau sich derartige Gedanken um sie machte. Dennoch entschied er sich schließlich dafür, mit der Wahrheit herauszurücken. Vielleicht tat er es nur, um Octávia damit eins auszuwischen, die anscheinend ebenso wenig Lust gehabt hatte wie er, Juliana die letzten Worte Marianas mitzuteilen.
    Ricardo ging ins Wohnzimmer, wo ein Großteil der Familie sich versammelt hatte. Seine Großmutter beäugte ihn schon wieder so merkwürdig. Er wusste nicht, warum sie ihn hasste, aber dass sie es tat, war klar. Vermutlich sah sie bis heute in ihm den Bastard, das uneheliche Kind, das Schande über die Familie gebracht hatte. Ja, so würde es sein. Diese konservativen, reichen Alten waren unverbesserlich. Und diese Frau war die schlimmste von allen. So weit er sich zurückerinnern konnte, hatte sie ihn nie gehätschelt, wie Großmütter es mit ihren Enkeln zu tun pflegten. Immer bedachte sie ihn mit diesem lauernden Blick.
    »Dona Juliana, können Sie einen Moment mit mir auf die Veranda gehen, bitte? Ich möchte Ihnen etwas sagen.« Er sprach seine Großmutter nie anders als mit Dona Juliana an – alles andere hätte er als verlogen empfunden.
    Jujú erblasste. Auch seine Mutter sowie sein Großvater Rui sahen Ricardo neugierig an. Es war sehr ungewöhnlich, dass der Junge von sich aus auf jemanden zuging, am allerwenigsten auf seine Großmutter.
    »Natürlich, mein Lieber.«
    Sie erhob sich leichtfüßig aus ihrem Sessel und folgte

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