So weit der Wind uns trägt
bekam Jujú noch gerade davon mit. Beide Ehepaare sowie Mariana beteiligten sich rege daran. Nur Beatriz schwieg. Sie musterte ihre jüngere Schwester aus den Augenwinkeln und schien genau zu wissen, welcher Sturm in Jujús Innerem tobte.
Jujú stocherte lustlos in ihrem Dessert herum. Der Schock über die plötzliche Erkenntnis, dass Fernando vielleicht gar nicht der strahlende Held war, den sie immer in ihm gesehen hatte, war ihr in die Knochen gefahren und hatte ihr den Appetit geraubt. Wie konnte sie Fernando mit den Augen der anderen gesehen haben, sie, die doch ihn und seine Vorzüge genauer kannte als irgendein anderer Mensch auf der Welt? Wie schäbig von ihr, und wie flach!
Oder entsprach dieser abrupte Perspektivenwechsel vielmehr dem, wie sie ihn auch schon bei unvorteilhaften Kleidern erlebt hatte – dem hellgelben Seidenkleid etwa, das sie im letzten Sommer unbedingt besitzen musste, weil der Schnitt so gewagt und der Stoff so edel war? Dass es ihr gar nicht gut stand, hatte sie ignoriert. Wenn sie sich vor dem Spiegel drehte, das Hinterteil ein wenig herausstreckte, den Busen zurechtrückte und hier und da ein wenig zupfte, fand sie, dass es sehr kleidsam war. Dann aber hatte sie einen zufälligen Blick auf ihr Spiegelbild in den hohen Fenstern im Salon erhascht und erkennen müssen, dass das Kleid an ihr überhaupt nicht gut aussah. Sie hatte es danach nie wieder getragen.
War es so mit Fernando? Hatte sie ihn sich all die Jahre nur schöngeredet? Passte er in Wirklichkeit gar nicht zu ihr?
»… nicht wahr, meine liebe Menina Juliana?« Adalberto da Costa ergriff ihre Hand und riss sie aus ihren Gedanken. Er hatte sich bereits erhoben und schien sich verabschieden zu wollen.
»Verzeihen Sie bitte meine Unaufmerksamkeit, ich weilte im Geiste noch in den Rosengärten«, fiel Jujú spontan ein.
»Mein Mann und ich würden uns jedenfalls sehr freuen, wenn Ihre sehr verehrten Eltern uns auch einmal am Douro besuchen würden – und Sie wären uns natürlich ebenfalls sehr willkommen.«
Die kleine Gruppe stand inzwischen an der geöffneten Haustür. Der Chauffeur der da Costas hatte den Daimler vorgefahren und hielt die Türen für seine Herrschaft auf.
»Danke, Dona Filomena, das ist zu freundlich von Ihnen. Aber ich glaube, meine Eltern haben für mich bereits andere Reisepläne gemacht.«
»Aber Schatz, Porto liegt doch auf dem Weg nach Paris!« Dona Clementina zwinkerte Dona Filomena verschwörerisch zu, als diese sich während des Einsteigens noch einmal umdrehte. Von dieser kleinen Geste geheimen Einverständnisses nahmen nur die beiden Damen selbst Notiz – und Fernando.
Fernando hatte den Verbleib des Wagens in Erfahrung gebracht und wartete im unbeleuchteten Scheunentor darauf, dass die Gäste abfuhren und er seinem Patrão endlich Bericht erstatten konnte. Er war hundemüde und fühlte sich nach einem langen Tag im Staub und in der Hitze schmutzig. Sein Geist jedoch war hellwach. Und was er gerade gesehen hatte, verriet ihm alles. Es war Zeit für ihn, zu gehen.
5
O berstleutnant Miguel António Alves Ferreira rieb sich die Hände. Sein Protégé erwies sich immer wieder als Glücksgriff. Was hätte er getan, wenn sein Fähnrich nicht zur Stelle gewesen wäre, um den Defekt am Vergaser seines Hispano-Suiza Roadsters zu beheben? Und wie hätte er den Flug in der Bleriot überstanden, wenn der junge Mann nicht rechtzeitig das klemmende Seitenruder gerichtet hätte? Gar nicht auszudenken! Noch dazu konnte er sich auf dessen Verschwiegenheit verlassen. Fähnrich Fernando Abrantes hatte zwar etwas Düsteres an sich, etwas Verschlossenes, das dem Oberstleutnant nicht ganz geheuer war – er selber war ein offener und fröhlicher Mensch –, doch diesen Makel wollte er aufgrund der vielen Vorzüge seines Schützlings gerne in Kauf nehmen.
Abrantes war intelligent, verstand sich außerordentlich gut auf technische Fragen und war im Gegensatz zu ihm selber geduldig genug, sich so lange mit kniffligen Reparaturen zu befassen, bis alles wieder in perfekter Ordnung war. Es war überaus faszinierend zu sehen, wie sich die großen Pranken des ehemaligen Landarbeiters in chirurgische Präzisionsinstrumente verwandelten, sobald es einen feinen Draht zu isolieren oder die Nadel eines Höhenmessers auszutarieren galt. Auch verzog Abrantes nie eine Miene, ganz gleich, was man ihm auftrug. Er verlor kein überflüssiges Wort und wirkte nicht wie einer, der seine Nase in anderer Leute
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