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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Angelegenheiten steckte. Und: Er schien weder Freunde noch Geschmack am Feiern zu haben. Dieser letzte Punkt war Ferreira besonders wichtig. Wenn er Abrantes zu privaten Chauffeursdiensten heranzog oder ihn vor Rundflügen die Maschine checken ließ, konnte er keinen geschwätzigen Mann gebrauchen, der in weinseliger Laune die intimsten Geheimnisse seines Vorgesetzten preisgab.
    Jetzt beobachtete Oberstleutnant Ferreira den jungen Mann, wie er mit ernstem Gesicht die Dellen an den Tragflächen der Bleriot prüfte, die ein Hagelsturm in der vergangenen Nacht verursacht hatte. Der Fähnrich war vollkommen auf seine Aufgabe konzentriert. Die Frau an Ferreiras Seite würdigte er keines Blickes. Und das, fand Ferreira, war schon beinahe beleidigend. Evelina, seine Geliebte, war schließlich eine Wucht. Ihre rasanten Kurven ließen keinen Mann kalt, und es gefiel ihm, wenn er Neid in den Augen anderer Männer wahrnahm. Aber nun ja, Abrantes war eben anders. Er kannte Abrantes inzwischen gut genug, um zu wissen, dass dieser eine intimere Beziehung zu Flugzeugmotoren hatte als zu Frauen – oder auch zu Männern, bei Gott!, das passierte beim Militär nicht selten – und dass er für Evelinas Reize anscheinend unempfänglich war. Vielleicht war das auch besser so, denn umgekehrt schien Evelina durchaus Gefallen an dem Burschen zu finden. Aus ihren Augen sprach Bewunderung, wenn nicht gar Begierde, während sie Abrantes’ geschmeidige Bewegungen verfolgte.
    »Lassen Sie es gut sein, Abrantes. Wir werden eine kleine Platzrunde drehen, und danach wissen wir mehr.«
    »Wenn Sie erlauben, Oberstleutnant: Vielleicht ist sogar eine Platzrunde zu viel, zumal für die Dame. Es könnte Schwierigkeiten geben, womöglich sogar zum Strömungsabriss kommen. Lassen Sie mich erst ein paar dieser Dellen provisorisch ausbeulen, das erscheint mir sicherer.«
    Es gefiel Ferreira nicht, dass Abrantes ihm in Evelinas Gegenwart widersprach, aber er sah ein, dass der Vorschlag nicht einer gewissen Vernunft entbehrte.
    »Also gut, Abrantes. Wie lange brauchen Sie noch dafür?«
    »Ich denke, in einer halben Stunde ist der Apparat flugtauglich, Herr Oberstleutnant.«
    »Schön. Dann sputen Sie sich, wir kommen in einer halben Stunde zurück.« Ferreira legte den Arm besitzergreifend um Evelinas Wespentaille und verließ mit ihr das Rollfeld.
    Fernando sah den beiden kurz nach und widmete sich wieder den arg mitgenommenen Tragflächen. Es ging ihn nichts an, was Ferreira außerhalb der Dienstzeiten trieb. Aber er war froh, dass sein Vorgesetzter sich so extravagante Hobbys wie die Fliegerei leistete – und dass er als stellvertretender Vorsitzender des
Aero Club de Portugal
ihm, Fernando, Zugang zu den modernsten Flugzeugen erlaubte. Wenn es wahr war, dass im nächsten Jahr eine
Escola Militar de Aeronáutica
in Vila Nova da Rainha gegründet werden sollte, wäre Fernando bestens vorbereitet. Er wollte einer der ersten in Portugal ausgebildeten Militärpiloten werden. Und wenn er dafür noch so viele Evelinas oder Rosalindas oder Luisinhas auf der Rückbank des Hispano-Suiza kichern hören musste.
    Es hätte schlimmer kommen können.
    In Wahrheit, gestand Fernando sich ein, hätte es sogar kaum besser kommen können. Er musste sich selbst immer wieder daran erinnern, dass er unglaubliches Glück gehabt hatte. Wie schnell man vergaß, wenn erst ein Zwischenziel erreicht war! Kein Gedanke mehr an die Zeit und die Arbeit, die man investiert hatte – und keine Spur von dem ekstatischen Gefühl beim Erreichen eines Erfolges, das man sich erhofft hatte. Anstatt angesichts der gemeisterten Etappe Stolz zu empfinden, hatte Fernando nie etwas anderes gefühlt als brennende Ungeduld: Weiter, weiter!, er musste schneller vorankommen, musste höher hinaus! Würde sich das endlos so fortsetzen? Würde er niemals echte Freude fühlen, wenn er ein Ziel erreicht hatte? Wohin würde ihn seine Unzufriedenheit noch tragen? Oder musste er vielmehr lernen, aus dem Kampf selber Befriedigung zu ziehen? Wäre nicht der Gipfel die höchste Belohnung, sondern lag das Geheimnis darin, dass man den beschwerlichen Aufstieg genoss?
    Nein, nicht der Weg war das Ziel. Das Ziel war, innerhalb kürzester Zeit eine so spektakuläre Karriere hinzulegen, dass er damit sogar vor José Carvalho würde bestehen können. Und vor allem müsste er vor Jujú bestehen. An jenem Abend vor rund zwei Jahren hatte er mit schmerzhafter Schärfe erkannt, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte.

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