So weit der Wind uns trägt
ich nicht.«
Jetzt endlich erwachte er aus seiner Trance.
»Was ist los? Hast du geheult?«
»Nichts weiter. Ich gehe aus. Ich kann den Anblick eines fernsehbesessenen Faulenzers nicht länger ertragen. Und nein, ich habe nicht geheult, sondern mir wegen deiner kulinarischen Vorlieben Chili ins Auge gerieben.«
»Na dann …« Sie hörte Trotz aus seiner Stimme.
»Da dies hier meine Wohnung ist, möchte ich mich allerdings ab und zu auch darin aufhalten können. Mir fällt da spontan nur eine Lösung ein.« Damit trat sie auf den Hausflur und ließ Cristiano mit erschrockener Miene zurück.
Allein blieb Marisa jedoch auch nach Cristianos Auszug nicht, der noch in der Nacht des 17 . Juli stattgefunden hatte – jenes Tages also, an dem Joaquim Agostinho Sieger der 14 . Etappe der Tour de France geworden war, die ihm später den 8 . Platz in der Gesamtwertung einbringen sollte.
Zunächst hatte sie alle ihre Freundinnen zusammengetrommelt, um gemeinsam über die Männer herziehen zu können, um sich bei ihnen auszuweinen und sich mit ihnen zu betrinken. Doch nach ein paar Tagen ging ihr dieses Übermaß an weiblicher Gesellschaft auf die Nerven. Cristiano fehlte ihr. So schlecht war er eigentlich nicht gewesen – vielleicht hätte sie ihn nur besser erziehen sollen. Aber sie musste ja gleich von einem Extrem ins andere fallen! Vom Heimchen am Herd zur Kampfemanze innerhalb von fünf Minuten, das sollte ihr erst mal jemand nachmachen. Dann wieder gratulierte sie sich zu der weisen Entscheidung, Cristiano hinausgeworfen zu haben – wenigstens konnte sie jetzt so lange mit angezogenen Knien in »Elda« hocken, wie es ihr passte. Und das tat sie, während ihre Freunde beiderlei Geschlechts sich auf ihrem kleinen Sofa sowie auf dem Flokati davor tummelten: In den Tagen um den 20 . Juli 1969 war Marisas Wohnung dank eines Farbfernsehers der neuesten Generation zum beliebtesten Treffpunkt ihrer Clique geworden. Niemand, nicht einmal der größte Technikfeind, wollte sich die Bilder von der Mondlandung entgehen lassen.
Auf dem ganzen Erdball verfolgten rund 500 Millionen Menschen gebannt den Höhepunkt der Mission von Apollo 11 auf den Fernsehbildschirmen. Am 21 . Juli 1969 war es so weit: Neil Armstrong betrat als erster Mensch den Mond. Dreizehn Minuten später folgte ihm der Pilot der Mondfähre »Eagle«, Edwin »Buzz« Aldrin. Die beiden Astronauten hissten die US -Flagge und hielten sich etwa zweieinhalb Stunden auf dem Mond auf, um diverse wissenschaftliche Messgeräte aufzustellen und Bodenproben zu entnehmen. Die Welt hielt den Atem an. Ungläubiges Staunen war die am weitesten verbreitete Reaktion, doch das spektakuläre Ereignis löste auch Hass, Neid und andere Gefühlsregungen aus. Jede – außer Gleichgültigkeit.
Fernando und Elisabete Abrantes saßen vor ihrem Fernsehgerät und waren angesichts dieser Bilder genauso aufgewühlt und erregt wie der Rest der Welt. Allerdings gehörte Fernando vermutlich zu der kleinen Zahl von Leuten, die in diesem großen Moment auch einen Gedanken an Michael Collins verschwendeten, den Piloten der Kommandokapsel, der dort die Stellung halten musste und darum den Mond nicht betreten konnte. Ach, dachte Fernando, immer noch besser, von der »Columbia« aus die Erde betrachten zu können, als gar nicht erst an dieser historischen Mission teilnehmen zu können.
Fernando beging nicht den Fehler, seine Frau an seinen Empfindungen teilhaben zu lassen – was umgekehrt leider nicht zutraf. »Mein Gott, stell dir nur vor, was die armen Frauen dieser Männer jetzt durchmachen müssen!«, rief sie, und Fernando fand, dass aus dieser Äußerung sämtliches Unverständnis sprach, das sie ihm in über vierzigjähriger Ehe so entfremdet hatte. Die Frauen würden stolz sein. Ihre Männer waren Helden, sie würden zu nationalen Denkmälern, wenn nicht gar Heiligtümern werden. Was, bitte schön, konnte eine Frau mehr von ihrem Mann verlangen?
Doch er schwieg. Nachdem Elisabete ihm bereits vor Monaten klipp und klar gesagt hatte, dass sie nicht mit Details über die Mission »belämmert« werden wollte, behielt er sein Wissen für sich. Die technischen Merkmale der Saturn-V-Rakete AS - 506 und des Raumschiffes CSM - 107 , die Probleme beim Abkoppeln der Mondlandefähre LM - 5 und das daraufhin ohne die Hilfe des Bordcomputers durchgeführte, gewagte Landemanöver – über all das konnte er sich mit keiner Menschenseele austauschen. Eine gewisse Erleichterung
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