Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
Mitarbeiter gegeben hätte. Aber nein: Ricardo betrieb seine Flugschule mehr oder minder im Alleingang, und so sah es denn auch dort aus. In dem Schulungsraum befanden sich eine Tafel, fünf Stühle sowie zwei große Tische, auf denen halb ausgetrunkene Kaffeetassen Schimmel ansetzten. Die Wände waren plakatiert mit Navigationskarten, mit Übungslisten – etwa zu dem Fliegeralphabet –, mit meteorologischen Schautafeln sowie mit Bildern von schönen Flugzeugen, die er sich nicht leisten konnte. Wenn Ricardo in der Luft war, hing eine Pappe in der Tür: »Bin gleich zurück«. Einmal in der Woche kam eine Frau aus dem Dorf und putzte.
    Noch trister wirkte das alte Herrenhaus auf Marisa. Es verfiel, und Ricardo machte keine Anstalten, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Er hatte sich in einer umgebauten Scheune eingerichtet, wo es ähnlich schlimm aussah wie in der Baracke. »Meine Güte, Ricardo, warum renovierst du denn nicht?«, hatte sie sich ereifert, und er hatte sie mit der lapidaren Antwort abgespeist: »Alles zu seiner Zeit.« Aber Geldmangel allein war an dieser Ödnis nicht schuld, denn Marisa wären auf Anhieb unzählige Verschönerungsideen eingefallen, die praktisch keinen Escudo kosteten. Saubermachen hätte schon viel geholfen.
    Bevor sie wieder zurück nach Lissabon gefahren war, hatte er sie zum Essen in ein einfaches Lokal eingeladen, in dem er jeden Abend aß. Wahrscheinlich aß er dort auch immer dasselbe, denn die Wirtin hatte ihm, ohne dass er es bestellt hätte, einen Teller mit Schweinekotelett und Kartoffeln und Gemüse vor die Nase gestellt. Marisa hatte an diesem Tag mehr über Ricardo erfahren als in all den Jahren zuvor. Und es hatte ihr nicht besonders gefallen. Ein Mann, der so ausschließlich auf sein Ziel fixiert war, dass er alles um sich herum vergaß, war ihr suspekt. Jemand, der keinen Sinn für die schönen Dinge des Lebens hatte, musste irgendeine Macke haben. Und ein Typ, der sich anscheinend in der Gesellschaft eines Flugzeuges wohler fühlte als in der von Menschen, war sowieso gestört. Marisa war überzeugt davon gewesen, dass sie und Ricardo auf Dauer keine Chance hatten. Sie war mit dem ebenso beklemmenden wie sicheren Gefühl nach Lissabon zurückgefahren, dass sie Ricardo nie wiedersehen würde.
    Andererseits hatte sie es überaus faszinierend gefunden, zu beobachten, wie jemand aus dem Nichts und aus eigener Kraft etwas schuf. Die Idee, mitten in der Einsamkeit eine Flugschule zu gründen, entbehrte nicht eines gewissen Charmes – und zeugte von Mut. Das gefiel Marisa. Auch die Tatsache, dass er unbeirrt für seine Idee kämpfte, dass er sich nicht um das Gerede der Leute scherte und dass er ohne großes Tamtam sein Ding durchzog, imponierte ihr. Diese andere Sphäre, in der er sich bewegte, diese Welt aus Technik und Zahlen, die ihr so völlig fremd war, die sie ja sogar als abstoßend empfand, hatte zugleich etwas Reizvolles. Es verlieh Ricardo etwas so Unergründliches, Unnahbares. Männer, die sich schöngeistigen Zeitvertreiben hingaben, waren ihr verwandter – und damit zugleich unglaublich durchschaubar.
    Ihr gefiel ebenfalls, wie Ricardo aussah. Einzig sein Haarschnitt war ihr zu kurz und zu militärisch. Ach, eigentlich fand sie noch nicht einmal das so schlecht. Es stand ihm gut und passte zu seinem Wesen. Außerdem hätte er mit längerem Haar wahrscheinlich wie ein Verbrecher ausgesehen. Er hatte ohnehin schon etwas Skrupelloses, Kaltes an sich, das Marisa ziemlich anziehend fand. Er hatte ein kantiges, maskulines Gesicht und darin diese bernsteinfarbenen Augen mit den grünen Sprenkeln, aus denen mal Kälte, mal Verletzlichkeit sprach. Wenn er sich ein bisschen mehr Mühe mit seiner Kleidung gäbe, wäre er eine umwerfende Erscheinung. Wobei, fiel es Marisa bei der noch sehr lebhaften Erinnerung an eine Episode von vor nunmehr sieben Jahren ein, er ganz ohne Kleider auch umwerfend war.
    All das schoss Marisa in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, während Ronaldo Silva über den Bildschirm jagte und sich mit den bösen Buben herumschlug. Komisch, grübelte sie, wieso dachte sie ausgerechnet jetzt wieder daran? Sie hatte das Thema abgehakt geglaubt. Aber aus unerfindlicher Ursache spukte ihr dieser Kerl noch immer im Kopf herum.
Marisa Monteiro Cruz, du brauchst dringend einen Mann!
So tief war sie schon gesunken, dass sie sich erotischen Tagträumen hingab, in denen abgelegte Urlaubs-Lover die Hauptrolle spielten. Das ging so nicht weiter.

Weitere Kostenlose Bücher