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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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reserviert und bestimmte Sachen eigens für ihn bestellt, hatte ihn behandelt wie einen mündigen Menschen und hatte sogar seinen Diebstahl gedeckt – und anstatt ihr zu danken, hatte er ihr einfach die geklauten Bücher zurückgebracht und war beleidigt von dannen gezogen.
    Ricardo sah auf die Uhr. Kurz nach vier. Er könnte eigentlich jetzt gleich in die Stadt fahren. Er musste ohnehin noch ein paar Dinge einkaufen, Büroartikel insbesondere. Auch das hatte er vor sich hergeschoben. Er zog sich eines seiner amerikanischen Jacketts, die hier allenthalben für belustigte Blicke sorgten, über den schwarzen Rollkragenpulli und setzte seine Pilotensonnenbrille auf. So würde es gehen. So würde er sich Dona Aldoras zweifellos scharfer Musterung aussetzen können. Er schrubbte sich die Finger und schmunzelte bei der Erinnerung an die strengen Kontrollen der Bibliothekarin. Ja, jetzt freute er sich sogar richtig darauf, die alte Dame wiederzusehen.
    In der Bücherei arbeitete sie nicht mehr, hieß es dort. Wo er sie denn finden könne? Achselzucken. Ricardo hätte die gelangweilte Person am Ausgabetresen am liebsten geohrfeigt, aber auch das hätte vermutlich nichts gebracht. Er verließ die Bibliothek und ging von dort schnurstracks zur Polizeiwache. »Oho, der da Costa! Sieh an, sieh an – haben wir doch noch einen rechtschaffenen Bürger aus dir gemacht.« Der Wachtmeister war alt geworden. Ricardo ließ sich sein gönnerhaftes Benehmen sowie das Duzen nur deshalb kommentarlos bieten, weil er sich nicht auf einen Schwatz einlassen, sondern möglichst schnell in Erfahrung bringen wollte, wo Dona Aldora zu finden war. Er hoffte, dass sie nicht gestorben war. »Ich bin nicht befugt, Unbefugten Adressen unserer Bürger herauszugeben«, antwortete der Polizist in unfreiwillig komischem Bürokratenjargon. »Und wenn ich nun ein Geschenk für Dona Aldora hätte? Oder ihr Mitteilung über eine große Erbschaft machen wollte? Wenn sie in der Lotterie gewonnen hätte?« Der Polizist kannte kein Erbarmen und äußerte erstmals einen Satz, aus dem hervorging, dass er über so etwas wie ein Gehirn verfügte: »Als ob unsere vernünftige Dona Aldora jemals bei der Lotterie mitspielen würde!« Ricardo lachte. »Ach, kommen sie, Tenente, jetzt rücken Sie schon raus mit der Adresse. Ich will sie ja nicht meucheln. Vielleicht hätten Sie einmal Lust, mit mir einen kleinen Rundflug über Ihr Haus zu machen?«
    Eine Viertelstunde später stand Ricardo vor dem Eingang eines winzigen Häuschens in der Nähe des Bahnhofs. Er klopfte mehrmals. Dann hörte er, wie von innen eine Sicherheitskette vorgelegt wurde. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit.
    »Ja, bitte?«
    »Dona Aldora, erkennen Sie mich nicht? Ich bin Ricardo da Costa.«
    Die Tür schloss sich kurz, die Kette wurde wieder abgenommen, dann standen sie einander gegenüber. Wie erwartet musterte die rüstige Bibliothekarin, die so furchtbar alt gar nicht aussah, ihren Besucher von Kopf bis Fuß.
    »Ricardo da Costa – was hast du denn hier verloren? Ich hatte gehofft, einer wie du bringt es weiter.«
    Ricardo war sprachlos. Das war mal eine Begrüßung, wie er sie noch nie gehört hatte. Sie gefiel ihm.
    Er strahlte sie an, und endlich ließ auch sie sich zu einem Lächeln herab. »Nun ja, zumindest hast du dann anscheinend doch noch gelernt, dass man sich die Hände wäscht, bevor man älteren Damen einen solchen Schrecken einjagt. Komm rein.«
    Sie bot ihm einen Platz an, setzte einen Kaffee auf und gesellte sich dann zu ihm in die blitzeblank geschrubbte Stube. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass sie es nicht mehr mit einem Jungen zu tun hatte, denn ein wenig verlegen sagte sie: »Mir ist das Du vorhin aus alter Gewohnheit herausgerutscht. Bitte entschuldigen Sie. Sie sind ja jetzt ein gestandener Mann.«
    Bevor Ricardo ihr antworten konnte, dass ihm die Anrede völlig egal sei, fuhr sie fort: »Allerdings finde ich, dass Sie diesen Kaugummi aus dem Mund nehmen sollten. So etwas hätte ich in meiner Bibliothek niemals geduldet, und ehrlich gesagt, behagt mir der Anblick eines malmenden Kiefers auch zu Hause nicht.«
    Ricardo sah sie erstaunt an, hörte auf zu kauen, verzog dann die Lippen zu einem Grinsen, das immer breiter wurde, bis er schließlich laut herauslachte. »Sie sind wunderbar, Dona Aldora!«
    »War es das, was Sie mir sagen wollten und weshalb Sie die Mühe auf sich genommen haben, mich hier aufzusuchen?«, fragte sie in empörtem Ton. Sie fühlte sich

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