So weit der Wind uns trägt
offenbar veralbert.
»Ja. Genau das wollte ich Ihnen sagen.«
Sie schüttelte fassungslos den Kopf und ging in die Küche, um den Kaffee zu holen. Während sie mit dem Geschirr klapperte, kam Ricardo eine Idee. Eine grandiose Idee, um genau zu sein.
Als Dona Aldora mit einem Tablett wieder ins Wohnzimmer trat, den Tisch mit dem guten Porzellan deckte und das Fliegenschutzgitter von einem halben Sandkuchen abnahm, um ihm ein Stück davon abzuschneiden, stand der Plan bereits in allen Einzelheiten in Ricardos Kopf fest.
Sie musste nur noch ja sagen.
52
P aulo da Costa bereute seine Entscheidung bereits. Er hätte sich niemals von seiner Frau dazu breitschlagen lassen sollen, gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen junger Familie in Urlaub zu fahren. Nun war er dazu verdammt, sich in den nächsten zwei Wochen das Geplärre seines ersten Enkelkindes sowie das wichtigtuerische Gehabe der Frauen anzuhören, die sich gegenseitig in Kinderkunde zu übertrumpfen versuchten.
»Du musst ihn so halten, dass er dir über die Schulter sieht, und ihm dann auf den Rücken schlagen.«
»Aber dann spuckt er ja auf mich!«
»Leg dir halt ein Handtuch um.«
Das waren die Themen, die seine Frau Fátima und seine Schwiegertochter Cláudia tagaus, tagein beschäftigten. Das Schlimmste war, dass er selber ebenfalls schon zum Babyfreund mutierte und mit seinem ersten Enkelkind mehr Zeit verbrachte, als es für einen Mann von fünfzig Jahren gut sein konnte. Erst vorhin hatte Paulo sich dabei erwischt, dass er zu dem Kind »gagaga« gesagt und es dabei am Kinn gekitzelt hatte. Das Lächeln des Babys war wirklich herzerweichend. Sein nichtsnutziger Sohn, António, schnarchte derweil in der Sonne. Mein Gott, er war erst zweiundzwanzig Jahre alt und führte sich schon auf wie ein Rentner. Warum hatte sein Sohn es so eilig gehabt mit dem Heiraten und der Familiengründung? Heutzutage
musste
man ja nicht einmal mehr heiraten – wobei es in seiner eigenen Jugend natürlich auch Wege gegeben hatte, dies zu vermeiden.
Ihr Söhnchen hatten António und seine Frau nach Cláudias früh verstorbenem Vater, Ricardo, benannt. Ausgerechnet. Es war ihnen nicht auszureden gewesen, und irgendwann, nachdem sogar Fátima über seine vehemente Einmischung wütend geworden war, hatte Paulo es aufgegeben. So kam es also, dass er jetzt, an einem herrlichen Julitag 1971 , am Strand auf allen vieren hinter Klein-Ricardo herkrabbelte, ihn mit Sandförmchen zurückzulocken versuchte und sich zum Affen machte.
Das Baby robbte zielstrebig aufs Meer zu. Zum Glück war Ebbe. Wo dank des zurückweichenden Wassers der Sand schön nass und schwer war, blieb der Junge vor der Sandburg einer deutschen Familie hocken und sah dem Fortschreiten des Baus gebannt zu. Paulo war selber fasziniert von dem teutonischen Schaffensdrang, der sich anscheinend nicht einmal im Urlaub legte. Großvater und Enkel blieben eine Weile neben der Baustelle sitzen. Dann fand Paulo, dass Zusehen noch peinlicher war, als selber zur Tat zu schreiten. Was diese Touristen konnten, konnte er schon lange. Ein paar Meter neben der deutschen Burg begann er, das Fundament für ein portugiesisches Kastell auszuheben. Ricardo jauchzte vor Begeisterung und warf mit nassen Sandklumpen um sich.
Nach einer Stunde in der prallen Sonne nahm ihr Bauwerk Gestalt an – und zwar nicht die einer mittelalterlichen Trutzburg, sondern eindeutig die der »Quinta das Laranjeiras«, Paulos einstigem Zuhause in Pinhão. Jeder Psychiater, dachte Paulo, würde sich die Hände reiben über die verräterische Kraft seines Unterbewusstseins. Aber es war ja kein Psychofuzzi in der Nähe und auch niemand, der die »Quinta das Laranjeiras« gut genug kannte, um ihr plumpes Sandgebilde als solche zu identifizieren. Seine Frau war vor Jahren, ganz zu Beginn ihrer Ehe, vielleicht ein- oder zweimal dort gewesen. Jetzt gehörte der wunderschöne Landsitz Engländern.
Und der Rest ihres ehemaligen Familienvermögens befand sich ebenfalls in anderer Hand. Daran war er, Paulo da Costa, nicht ganz unschuldig, gestand er sich ein. Das mit Ronaldo hätte er sich wirklich sparen sollen. Sein Vater gab sich unversöhnlich und schien wild entschlossen, all sein Geld hemmungslos zu verjubeln. So wie es aussah, hatte er noch reichlich Zeit dazu: Mit seinen einundachtzig Jahren war Rui da Costa noch lange nicht bereit, abzutreten. Paulo war sich nicht ganz sicher, ob er das lange Leben, das den da Costas anscheinend im Blut lag, verdammen
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