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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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oder begrüßen sollte. Gut daran war immerhin, dass er selber diese Veranlagung geerbt hatte – er fand sich sehr attraktiv und jugendlich für sein Alter.
    Paulo machte eine kleine Pause von seiner schweißtreibenden und sinnlosen Arbeit, die sowieso der nächsten Flut anheimfallen würde. Er sah zu ihrem Platz hinüber. Aus der Ferne sah Fátima in ihrem unmodischen, viel zu geschlossenen Badeanzug aus wie eine alte Oma. Seine Schwiegertochter machte ebenfalls nicht viel her, mit den Dellen an ihren Oberschenkeln. Und António war auch nicht gerade ein Adonis. Dass seine Familie, die ihrerseits ihn aus der Ferne beobachtete, dasselbe von ihm denken musste, kam ihm nicht in den Sinn. Abgesehen von einem stattlichen Bauch war er doch noch sehr ansehnlich.
    Und er war entschieden zu jung, um Großvater zu sein. Paulo hob das Baby hoch, hielt das kreischende Bündel auf Armeslänge von sich und brachte es zurück an ihren Platz. »Hier, ich glaube, er hat ein bisschen zu viel Sonne abgekriegt.« Damit wandte er sich wieder von seinen Leuten ab und stolzierte in der Hoffnung am Strand herum, dass ihn niemand mit der hässlichen und lärmenden Familie in Verbindung bringen würde, die da mit Sonnenschirmen und Picknickkorb und Spielsachen ihr Revier großräumig abgesteckt hatte.
    Er entdeckte eine Frau, die von hinten äußerst appetitlich aussah, mit einem prallen, dellenlosen Hinterteil, das in einem dieser modernen, superknappen Bikinihöschen steckte. Die Frau hatte die Hände in die Taille gestemmt und sah zum Himmel hinauf. Neuerdings flogen ab und zu Flugzeuge vorbei, die Werbebanner hinter sich herzogen. Paulo näherte sich der Frau, stellte sich neben sie und schaute ebenfalls hinauf. Das wäre der perfekte Einstieg in ein Gespräch. Doch was er dann sah, verschlug ihm schier den Atem. »Erweitern Sie Ihren Horizont.
Escola de Aviação Belo Horizonte
. Auch Rundflüge. Tel. 04 / 9 75 34 «.
    »Ach, das müsste schön sein, wenn man selber fliegen könnte«, hörte er die Frau neben sich sagen. Paulo drehte sich zu ihr herum und sah ihr erstmals direkt ins Gesicht. Es war verlebt und mit einer riesigen Hakennase verunstaltet. Kommentarlos wandte er sich ab.
    Er war zu aufgewühlt, um an seinen Platz zurückgehen und sich das Weibergewäsch anhören zu können. Er stapfte zügig durch den Sand und war dabei so in Gedanken, dass er weder seine glühenden Fußsohlen noch die Schweißbäche spürte, die an seinem Rücken herabliefen. Das war die Höhe! Wie konnte Ricardo – diese missratene Brut, diese
Promenadenmischung!
 – sich erdreisten, so eine Show abzuziehen? Jemand würde dem Knaben einmal Demut beibringen müssen. Es konnte ja wohl nicht angehen, dass der uneheliche Sohn eines jüdischen Vaters und einer ebenfalls unehelich gezeugten Mutter sich hier aufspielte wie ein Großkotz, während es den anständigen Leuten, braven Katholiken und gesetzestreuen Bürgern, immer schlechter ging. Rundflüge! Wer, bitte, konnte sich in diesen schwierigen Zeiten so etwas leisten?
    Ärger noch als die Erkenntnis, dass sein Neffe – sein
Halbneffe
 – offenbar etwas aus sich gemacht hatte, traf Paulo die Einsicht über sein eigenes Versagen. Er hatte nichts davon mitbekommen, nicht das Geringste. Er war nachlässig geworden. Weder hatte er erfahren, dass Ricardo aus den Staaten zurückgekehrt war, was, wenn man ihn fragte, von grenzenloser Beschränktheit zeugte, noch hatte er weiterverfolgt, was mit Belo Horizonte geschehen war. Er hatte geglaubt, es verfiele, nachdem Laura nach Lissabon gegangen und Octávia und ihre Kinder ausgezogen waren. Was für ein Narr er gewesen war! Und er hatte Laura noch seinen Teil des mütterlichen Erbes für einen Apfel und ein Ei verkauft – jenes Land, über dem jetzt vermutlich Ricardo seine Runden drehte.
Merda!
    Paulo hatte mittlerweile den von Felsen begrenzten Strand mehrmals abgewandert. Er hatte einen hochroten Kopf, was sowohl auf seine Wut als auch auf die Hitze zurückzuführen war. Er kühlte sich kurz im Wasser ab, japste nach Luft und lief an den Platz der Familie zurück. Der kleine Ricardo kam sofort auf ihn zugekrabbelt, doch Paulo schubste seinen Enkel unwirsch beiseite. »Bestimmt ist die Windel voll«, sagte er zu Cláudia. »Er riecht.« Seine Schwiegertochter nahm das Kind und schnupperte an seinem Hinterteil. Paulo hoffte, dass es keiner der anderen Strandbesucher gesehen hatte. Himmelherrgott, hatten junge Mütter denn überhaupt kein

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