So weit der Wind uns trägt
augenblicklich vor Respekt. Am Telefon war es nicht viel anders. Leute, die sich für Rundflüge interessierten, hörten es rascheln, als müsse Dona Aldora den ganzen Kalender nach einem freien Termin absuchen. Die Kunden waren immer sehr zufrieden, wenn sie kurzfristig noch den Termin ihrer Wahl ergattern konnten.
Das Einzige, was Ricardo an seiner wunderbaren Assistentin nicht gefiel, war, dass sie glaubte, ihre Autorität erstrecke sich auch auf seine persönlichen Angelegenheiten. Sein Privatleben ging sie nun wirklich überhaupt nichts an. Begonnen hatte es mit Bemerkungen wie: »Ricardo, Sie müssen regelmäßiger essen.« Inzwischen ging sie schon so weit, dass sie ihn zur Brautschau aufforderte. »Ricardo, Sie können nicht als einzige weibliche Gesellschaft eine alte Schachtel wie mich haben. Das bekommt Ihnen nicht.«
»Aber im Gegenteil, es bekommt mir ganz wunderbar!«, hatte er gelacht. »Seit Sie hier sind, läuft alles wie am Schnürchen.«
»Ja. Außer Ihr Liebesleben.«
Ricardo hatte sich fast verschluckt, sich jedoch zu der sachlichen Erwiderung gezwungen: »Bitte, Dona Aldora, das soll nun beileibe nicht Ihre Sorge sein.«
»Ist es aber. Sie fliegen so oft nach Lissabon, kommen aber immer am selben Tag mit traurigem Gesichtsausdruck wieder zurück. Warum führen Sie Ihre Freundin nicht mal abends aus? Sie könnten ja über Nacht dableiben. Ich meine natürlich, bei Ihrer Mutter.«
Ricardo hatte sich gewundert, woher sie nun wieder über »seine Freundin« Bescheid wusste, hatte die Diskussion aber brüsk beendet. Das waren Dinge, die er mit niemandem besprechen wollte, schon gar nicht mit einer alten Jungfer wie Dona Aldora. Was wusste die schon über die Liebe?
Es wäre wahrscheinlich klüger gewesen, den Kontakt zu Marisa ganz abzubrechen, als sie nur gelegentlich auf eine Tasse Kaffee zu treffen. Wenn Ricardo in Lissabon war, rief er sie immer im Büro an, und wenn ihre Zeit es erlaubte, verabredeten sie sich in der Nähe ihrer Firma. Ein halbes Stündchen hier, eine Viertelstunde da – das war alles an Begegnungen, was sie in den vergangenen Monaten gehabt hatten. Die erotischen Untertöne wichen immer mehr einem kumpelhaften Umgang miteinander. Sie benahmen sich zunehmend wie gute alte Bekannte. Es trieb Ricardo in den Wahnsinn. Aber Dona Aldoras glorreiche Idee, Marisa abends auszuführen, war schlicht und ergreifend nicht umsetzbar: Marisa war mit einem Mann zusammengezogen. Einem Scheißintellektuellen namens Cristiano.
Ricardo hasste den unbekannten Kerl inbrünstiger, als er je einen Feind im Krieg gehasst hatte, ja sogar mehr, als er den starrsinnigen Greis hasste, der noch immer Besitzer des Landes war, das zur Errichtung eines Towers prädestiniert war. Doch Marisa gegenüber ließ er sich nichts anmerken. Er gab sich locker und fröhlich, und erst auf dem Heimflug ließ er seinen Emotionen freien Lauf, indem er gefährliche Loopings drehte oder viel zu nah an Gewitterwolken heranflog.
Wofür strampelte er sich eigentlich so ab, wenn die einzige Frau, die er wollte, ihn verschmähte? Wenn seine Flugschule sich so prächtig fortentwickelte, wäre er in ein paar Jahren reich. Und was sollte er dann mit seinem Geld machen? Es weiterhin zu Clarice tragen, die er gelegentlich aufsuchte und die wenigstens dafür sorgte, dass seine Körpersäfte sich im Gleichgewicht befanden? Sich im Dorf nach einer Braut umsehen, unter all den jungen Frauen, die zu dumm oder zu feige waren, um ihr Glück im Ausland zu suchen? Sich auch in fortgeschrittenem Alter noch mit Marisa auf einen Kaffee treffen, um sich mit unbewegter Miene nach ihrer Kinderschar zu erkundigen, die dieser Scheiß-Cristiano ihr ohne Zweifel andrehen würde? Alles, nur das nicht!
Nein, beschloss Ricardo, es war Zeit, allen Anstand über Bord zu werfen. Unter normalen Umständen würde er niemals einem anderen Mann die Frau ausspannen wollen, aber was waren schon »normale Umstände«? Eigentlich hatte ja er die älteren Rechte. Er würde Marisa, Cristiano hin oder her, zum Essen einladen. Oder am besten direkt zu einem größeren Ausflug. Was konnte ihm schon passieren, außer dass sie ablehnte? Was sie, wenn sie es mit diesem Kerl ernst meinte, natürlich tun würde. Und wenn sie wider Erwarten annahm, dann wäre schließlich sie diejenige, die gegen die guten Sitten verstieß.
Sein Vorsatz bröckelte bereits am nächsten Morgen. Eigentlich hatte er gleich losfliegen wollen, doch die Wettervorhersage kündigte
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