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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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schwere Sommergewitter an.
    »Und das heute, wo ich gerade Ihren guten Rat in die Tat umsetzen wollte«, sagte er zu Dona Aldora.
    »Welchen davon?«
    »Den mit der Übernachtung bei … meiner Mutter.«
    »Ah.« Sie schlug den Aktenordner zu, stand auf und betrachtete mit Expertenmiene den düsteren Himmel.
    »Ricardo, Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass so ein paar lachhafte Kumulonimbusse Sie schrecken?«
    Sie sah ihn streng an. Ihr humorloser Blick verlor auch dann nichts von seiner Schärfe, als er in lautes Gelächter ausbrach und sich den Zündschlüssel schnappte.

53
    E r flog wie um sein Leben. In der Luft wurde er wild durchgeschüttelt, seine kleine Cessna nur mehr ein Spielball der gewaltigen, aufeinanderprallenden Luftströmungen. Er landete hart – und fühlte sich danach lebendig und aufgekratzt wie selten. Noch vom Flughafen rief er bei Marisa an, doch es war besetzt. Na schön, immerhin schien sie zu Hause zu sein. Klar, wann sonst, wenn nicht samstagvormittags? Er nahm ein Taxi bis zu ihrem Haus, zahlte, stieg aus und klingelte. Klingelte erneut. Das Taxi fuhr davon und wirbelte schmutziges Wasser aus einer Pfütze auf, das auf Ricardos Hose landete. Im zweiten Stockwerk öffnete sich ein Fenster. »Wer ist da?« Sprechanlagen, wie sie in den Staaten gang und gäbe waren, hatten nicht viele Gebäude. Ricardo trat ein paar Schritte zurück, aus dem Schutz des Hauseingangs heraus. Im strömenden Regen sah er nach oben. Es war Marisa. »Wir waren heute verabredet«, überschrie er den Donner und das laute Rauschen des Regens. Zwei Minuten später kam sie herunter und entriegelte die Haustür.
    »Sag bloß, du hast unser Rendezvous vergessen?«, begrüßte er sie und fuhr sich mit den Händen durch das triefnasse Haar.
    »Es ist unverzeihlich, ich weiß.« Marisa setzte ein ironisches Lächeln auf und sah ihn durchdringend an. »Sag bloß, du bist bei diesem Wetter geflogen?«
    »Ich musste. Du warst telefonisch nicht zu erreichen.«
    »Manche Leute müssen schlafen. Ich gehöre dazu.« Sie fand es unglaublich dreist, dass er hier unangekündigt auftauchte, noch dazu zu einer Zeit, da jeder normale Mensch noch nicht bereit war, Gäste zu empfangen, und dann noch diese vorwurfsvolle Miene aufsetzte, weil sie nicht ans Telefon gegangen war. Marisa war eben erst aufgestanden. Sie war noch nicht geduscht, hatte noch keinen Kaffee getrunken und hatte sich nur schnell einen Fummel übergeworfen, um ihn hereinzulassen. Aus reiner Höflichkeit fragte sie ihn: »Willst du mit raufkommen? Du kannst dir oben die Haare trocknen. Vielleicht finde ich auch noch ein Hemd, das dir passt.«
    Ricardo nickte, dachte aber bei sich, dass er auf das trockene Hemd liebend gern verzichtete, wenn sich herausstellte, dass es diesem Kerl gehörte. Er stieg hinter Marisa die steile Treppe hinauf und bewunderte ihre Beine und ihr hübsches Hinterteil.
    »Bist du … allein?«, fragte er, als sie vor ihrer Tür standen. Er hatte nie vorgehabt, mit in ihre Wohnung zu gehen. Was, wenn nun dieser Mann hier herumlümmelte?
    »Wäre dir das lieber?«
    »Ja.«
    Endlich schenkte Marisa ihm ein echtes, ein freundliches Lächeln. Seine Ehrlichkeit gefiel ihr. Sie war entwaffnend. »Cristiano ist übers Wochenende mit ein paar Freunden weggefahren.«
    Erleichtert folgte Ricardo ihr in den Flur. Er sah das Telefon dort. Der Hörer lag neben dem Apparat. Sie gingen ins Wohnzimmer, in dem es ausgesehen hätte wie in der Kommandozentrale der Enterprise, wären da nicht die alten Stuckelemente an der Decke gewesen. Merkwürdig geformte Kunststoffmöbel in Weiß und Orange standen da, dazu futuristisch anmutende Kugellampen, ein hochmodernes Fernsehgerät, das mit einem Kabel versehen war, an dem eine Fernbedienung hing. Weiterhin gab es einen Plattenspieler und ein Tonbandgerät, ebenfalls weiß und in modernem Design, dazu jede Menge kleiner Accessoires in schrillen Farben. Während Ricardo sich staunend in diesem Tempel zeitgenössischer Inneneinrichtung umsah, der direkt einer Wohnzeitschrift entsprungen sein könnte, machte Marisa sich in der Küche zu schaffen.
    Wenig später stellte sie einen Becher Kaffee vor ihm ab. »Erklärst du mir nun, was es mit diesem Überfall auf sich hat?«
    »Ich hatte Lust, dich zu sehen.«
    »Hast du dir nicht die Frage gestellt, ob auch ich Lust haben könnte, dich zu sehen?«
    »Doch. Ich habe sie mir mit Ja beantwortet.«
    »Ein solches Ego ist beneidenswert. Ja, wirklich. Für den, der es hat.

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