So weit der Wind uns trägt
loszuwerden, nicht einmal, als sie aus vollem Hals »Morning has broken« von Cat Stevens mitsang.
Erst als sie einer griesgrämigen Dame gegenüberstand, die sich als Chefin aufspielte, blickte Marisa wieder ernst drein.
»Nein, ich habe keinen Termin. Ich will ja auch keine Flugstunde nehmen.«
»Der Senhor Ricardo wird den ganzen Tag in der Luft sein.«
»Irgendwann muss er ja auch einmal landen und den nächsten Schüler an Bord nehmen, oder?«
»Ja, schon, aber …«
Marisa dachte nicht daran, sich von diesem Drachen abwimmeln zu lassen. Sie spazierte zu der Piste, setzte sich im Schneidersitz ins Gras und hielt am Himmel Ausschau nach einem kleinen Flugzeug. Als sie es schließlich entdeckte, war ihr Hintern schon ganz kalt und feucht.
Die Maschine setzte mit allen drei Rädern gleichzeitig auf, hob wieder ein Stück ab, berührte erneut die Erde und setzte bis zum Ende der Piste dieses Gehüpfe fort. Jesus, dieser Flugschüler war eindeutig noch ein Anfänger! Erst jetzt kam es Marisa in den Sinn, dass Ricardos Beruf ziemlich viele Gefahren barg. Was, wenn er wegen eines unfähigen Trottels abstürzte? Zum Glück konnte sie diesen Gedanken nicht zu Ende führen, denn in diesem Augenblick kamen auch schon Ricardo und ein Mann in mittleren Jahren aus dem Flugzeug geklettert. Ricardo klopfte seinem Schüler auf den Rücken. Für Marisa sah es aus, als würde er ihn loben. Der Mann schritt mit stolzgeschwellter Brust neben Ricardo her, und es sah aus, als sei der Ältere der Lehrer des Jüngeren. Ricardo trug eine Pilotenbrille, hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt und wirkte wie ein Junge, dem gerade ein ziemlich fieser Streich gelungen ist, ohne erwischt zu werden.
Marisa stand auf, und da entdeckte er sie. Er winkte. Dann wechselte er ein paar Worte mit dem anderen Mann und kam zu ihr. Sie umarmten sich.
»Hey! Schön, dass du da bist.«
»Ja.«
»Warum hast du nicht angerufen, dann hätte ich mir den Tag nicht so mit Terminen vollgeknallt?«
»Es war eine eher spontane Eingebung.«
»Ah. Also, ich weiß nicht – ich kann dir die Schlüssel zum Haus geben, da kannst du Kaffee trinken und so. Ich habe erst über Mittag eine Stunde frei.«
»Macht nichts. Ich hatte Lust auf ein bisschen Natur. Ich werde mir mal die Gegend genauer ansehen. Vielleicht fahre ich auch meine Tante besuchen. Aber die Schlüssel kannst du mir trotzdem geben – wenn es dir nichts ausmacht, dass ich mich mal in dem alten Kasten umsehe.«
Inzwischen waren sie an der Baracke angelangt, die seit Marisas letztem und bisher einzigem Besuch viel einladender geworden war. Vielleicht war diese Dona Aldora doch nicht so furchtbar, wie sie auf den ersten Blick wirkte.
»Tut mir wirklich leid, dass ich nicht mehr Zeit für dich habe. Vielleicht kann ich ein oder zwei Stunden heute Nachmittag absagen.«
»Nein, bloß nicht! Nachher bin ich schuld, wenn dein Laden nicht brummt. Also dann: Bis später.« Marisa nahm ihm die Schlüssel ab und wandte sich um, bevor sie ihn hier und vor Zeugen – in der Baracke saßen Dona Aldora, der Mann von vorhin sowie anscheinend der nächste Schüler und glotzten nach draußen – mit Küssen oder vertraulichen Gesten in Verlegenheit brachte.
Das alte Herrenhaus war der Traum jedes Menschen, der sich gern mit Renovierungen und Einrichtungen beschäftigte – und der Alptraum aller Pragmatiker. Es instand zu setzen hätte Unsummen verschlungen, wäre aber sicher auch mit einem grandiosen Ergebnis belohnt worden. Hatte sie sich zu Beginn ihrer einsamen Begehung noch wie ein Dieb gefühlt, so verlor Marisa im Laufe ihres Rundgangs zusehends ihre Hemmungen. Es war ohnehin nichts Persönliches von Ricardo in diesem Haus, nichts, was ihr das Gefühl gegeben hätte, ein Eindringling zu sein. Sie fühlte sich vielmehr wie eine Maklerin, die ein Objekt begutachtet. Sie rüttelte am Treppengeländer, um dessen Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Sie klopfte gegen Holzverkleidungen, kratzte an feuchten Mauerstellen, betrachtete mit Ehrfurcht die kunstvollen Azulejos in den Bädern und in der Küche, die mit einigem Aufwand vielleicht noch zu retten wären.
Die Küche war offensichtlich längere Zeit nicht mehr in Gebrauch gewesen. Marisa hätte gern einen Happen gegessen, bevor sie sich zu einem Spaziergang aufmachte. Irgendwo musste es doch etwas Essbares geben, einen Kühlschrank, ein paar Grundlebensmittel? Wo zum Teufel aß Ricardo? Wo lebte er? In diesem Gemäuer ganz sicher nicht. Sie
Weitere Kostenlose Bücher