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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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verschob die weitere Besichtigung des Herrenhauses auf später. Jetzt hatte sie Hunger und Lust auf frische Luft. Sie schloss sorgfältig die Haustür wieder ab, obwohl sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was ein Dieb hier holen wollte.
    Sie ging um das Haus herum und entdeckte vor einer Scheune den alten Pick-up. Ricardo hatte offenbar daran herumgewerkelt, der alte Wagen sah ganz manierlich aus. Vor der Scheune sah sie ein paar Gummistiefel neben der Tür stehen. Ob er da drin wohnte? Einen Versuch war es wert. Und die anderen Schlüssel an dem Bund mussten ja zu irgendeiner Tür passen. Sie probierte vier Schlüssel aus, und natürlich klappte es erst beim letzten. Sie stieß die Tür auf, trat vorsichtig ein und rief: »Hallo? Ist hier jemand?« Im Flur hingen verschiedene Mäntel und Jacken an einer Hakenleiste. Aha, hier hauste Ricardo also wirklich. Es war ihr sehr unheimlich, ohne seine Begleitung in seine Privatsphäre einzudringen. Doch inzwischen knurrte ihr Magen so laut, dass sie darauf keine Rücksicht mehr nehmen konnte.
    Sie kam in einen riesigen, hellen Raum. Auf dem Holzfußboden waren Farbkleckse – hier war einmal ein Atelier gewesen. Dann entdeckte sie in der Ecke eine Kochnische und vergaß augenblicklich jeden anderen Gedanken an diese Scheune, ihre alte oder neue Verwendung und ihre Bewohner. Sie riss die Kühlschranktür auf, fand Butter und getrocknete Blutwurst, deren schrecklicher Anblick ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Oben auf dem Kühlschrank stand ein Brotkasten, und das halbe Brot, das darin lag, sah sogar einigermaßen essbar aus. Sie schnitt sich eine dicke Scheibe ab, machte sich ihr Butterbrot und vertilgte es mit einer Hingabe, die sie von sich selber nicht kannte. Hm – warum hatte sie sich eigentlich immer so vor Blutwurst geekelt? Sie war köstlich!
    Während des Kauens wanderte ihr Blick über die Wände der umgebauten Scheune. Es hingen zahlreiche Bilder von Laura Lisboa daran, Kopien offenbar. Komisch, das hätte sie gar nicht gedacht, dass Ricardo sich für Kunst interessierte, und schon gar nicht für diese Malerin. Da sah man mal wieder, wie viel Wohnungen über ihre Bewohner verrieten. Sie schlang den letzten Bissen ihres Brotes halb gekaut herunter, trank etwas Orangensaft direkt aus der Flasche und verließ die Scheune wieder. Es musste schon auf Mittag zugehen. Sie würde ein bisschen laufen und dann auf Ricardo warten.
    Seine Mittagspause war kurz, die Stimmung gut, aber enttäuschend unerotisch. Es war vielleicht doch keine so gute Idee gewesen, ihn an einem für ihn arbeitsreichen Tag zu überfallen. Wenn er dasselbe getan und sie in Lissabon in ihrer Mittagspause vom Büro abgeholt hatte, war sie auch nie in besonderer Flirtlaune gewesen. Na ja, irgendwann hatte er ja auch mal Feierabend.
    Marisa stromerte ziellos über die Wiesen und durch die Wälder. Sie kam an dem Ufer des Sees vorbei, an dem sie vor Jahren mit Ricardo gewesen war und wo sein tumber Freund sie mit der Schreckensnachricht vom nahenden Tod seiner Großmutter aufgeschreckt hatte. Sie passierte ein winziges Häuschen, vor dem ein alter Mann ein Beet angelegt hatte, auf dem er jetzt die Frühjahrssaat ausbrachte. Sie nickte dem Mann zu, er erwiderte ihren Gruß. Er erinnerte sie vage an jemanden, aber er war zu weit weg, als dass sie ihn genauer hätte erkennen können.
    Sie atmete tief durch und genoss die saubere Luft. Sie bewunderte die Sanftheit der Landschaft. Sie betastete die Stämme von Korkeichen. Diejenigen, die mit einer 4 markiert waren, waren zuletzt 1964 geschält worden und wären nun bald wieder an der Reihe. Ihre Rinde war dick und buckelig. Diejenigen, die erst im Vorjahr, also 1972 , abgeerntet worden waren, hatten noch ganz glatte, rötliche Stämme. Verrückt war das, nur alle neun Jahre den wertvollen Kork ernten zu können – nicht gerade ein Geschäft für ungeduldige Naturen.
    Sie kam an einem Herrenhaus vorbei, das sehr gepflegt aussah und in jeder Hinsicht dem Besitz eines typischen
latifundiários
von vor hundert Jahren glich. Es gab sie also noch, die berühmten
montes
, die sie nur aus dem Schulunterricht kannte. Belo Horizonte hatte auch einmal dazugehört. Immer wieder verrenkte sie während ihres Spaziergangs den Kopf, um oben die Cessna vorbeifliegen zu sehen. Einmal hatte sie auf einem Weg inmitten von noch niedrigen Weizenfeldern gestanden, weithin sichtbar, und gewinkt. Das Flugzeug hatte zurückgewinkt. Als sie endlich

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