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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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fliegen. Sie konnten eine noch exotischere Reise unternehmen und sich nach hawaiianischem, tahitianischem oder nepalesischem Ritual trauen lassen, barfuß am Strand. Es würde wunderschön werden. Warum hatte sie sich immer so vehement gegen die Ehe ausgesprochen? Und warum, durchzuckte Marisa noch der Gedanke, bevor sie in einen unruhigen Schlaf fiel, hatte Ricardo eigentlich nie um ihre Hand angehalten?
     
    Nach drei Tagen wurde sie aus der Haft entlassen. Nachdem sie den Zellentrakt hinter sich gelassen hatte, wurde sie in das Büro des Mannes geführt, der sie verhört hatte und der Zeuge ihrer peinlichen Blasenschwäche geworden war. Dafür hasste sie ihn mehr als für das nervenaufreibende Verhör. Neben ihm stand Ricardo. Marisa warf sich ihm heulend in die Arme.
    Ricardo bedankte sich bei seinem Onkel dafür, dass er seinen Einfluss geltend gemacht und dafür gesorgt hatte, dass Marisa freikam. Er brachte Marisa nach Hause. Sie konnte während der Fahrt und auch in ihrer Wohnung gar nicht mehr aufhören zu weinen. Ricardo glaubte, dass seine schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen worden waren, mochte sie aber nicht fragen. Irgendwann würde sie schon von alleine reden. Er setzte einen Kaffee auf, stöberte in allen Küchenschränken, bis er ein bisschen Knabberzeug gefunden hatte, brachte alles ins Wohnzimmer und goss ihnen dort einen Cognac ein, nachdem er von der Anrichte Gläser sowie eine angestaubte Karaffe geholt hatte. Er behandelte Marisa mit einer beinahe mütterlichen Fürsorglichkeit, und sie heulte daraufhin nur noch mehr. Sie war einem Schluckauf nahe.
    Marisa trank drei Gläser Cognac hintereinander. Dann gähnte sie und fragte, schon ein wenig lallend, nach der Uhrzeit.
    »Es ist jetzt kurz vor 18 Uhr.«
    »Höchste Zeit, ins Bett zu gehen, was?« Ihr Ton machte ihm Angst. Sie klang hysterisch.
    »Ja, geh ins Bett und ruh dich aus. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.« Er nahm einen Notizzettel, kritzelte darauf die Telefonnummer seiner Mutter und reichte ihn ihr. »Hier. Ich bleibe heute Nacht in der Stadt. Falls irgendetwas ist, erreichst du mich dort, okay?«
    »Nein!«
    »Aber – wolltest du nicht schlafen?«
    »Geh nicht. Ich will nicht allein sein. Ich war drei Tage in Isolationshaft.«
    »Schon gut. Dann bleibe ich hier.« Ricardo fühlte sich vollkommen hilflos. Wie ging man mit einer Frau um, die gerade aus dem Gefängnis kam, wo man ihr vermutlich Gewalt angetan hatte? Sollte er nicht besser einen Arzt rufen? Ihre Eltern hierherbitten? Die würde er ohnehin anrufen müssen, und zwar sofort. »Leg dich ins Bett, ich komme gleich und singe dich in den Schlaf, ja?« Er lächelte sie aufmunternd an, als sei sie ein verstörtes Kind, dessen Alptraum man mit einem Wiegenlied vertreiben konnte.
    Sie rieb sich die letzte Träne aus den Augenwinkeln, schniefte laut und lächelte zurück. »Wenn du so gut singst, wie du tanzt, dann nimm von diesem Plan lieber Abstand.«
    »Na also, willkommen zurück, Marisa Monteiro Cruz. Du wirst schon wieder unverschämt – ein gutes Zeichen. So, und jetzt husch, husch ins Körbchen.«
    Marisa ging in ihr Schlafzimmer, zog sich nackt aus und legte sich ins Bett. Sie hörte, dass Ricardo telefonierte, konnte jedoch nicht verstehen, mit wem oder was er sagte. Kurz darauf kam er zu ihr, zog die Vorhänge zu und setzte sich auf den Bettrand.
    »Du darfst es dir aussuchen: ›Schlaf, Kindlein, schlaf‹ oder lieber ›Der Mond ist aufgegangen‹?«
    »Legst du dich zu mir?«
    »Ich … äh … sollte es mir besser auf dem Sofa bequem machen.«
    »Nein. Bitte komm ins Bett.«
    Na, jetzt war sicher nicht der richtige Zeitpunkt, sich mit Marisa auf Diskussionen einzulassen, sagte Ricardo sich. Schön, dann würde er sich zu ihr legen. Ganz brüderlich. Er würde sie festhalten, wenn sie sich dann besser fühlte, und würde sie in den Schlaf wiegen. Aber sonst würde er nichts machen, gar nichts. Wie grausam das war, was sie von ihm verlangte! Wie sollte er eine ganze Nacht im Bett der Frau verbringen, nach der er sich derartig verzehrte, ohne sie auch nur durch eine einzige etwas weniger brüderliche Berührung noch mehr zu verschrecken? Er zog sich Schuhe, Socken und Hose aus. Unterwäsche und T-Shirt behielt er an. Dann krabbelte er unter die Decke, verfluchte Marisa dafür, dass sie nackt war, und nahm sie in die Arme. Wenige Minuten später war sie eingeschlafen, während er noch stundenlang wach lag und sich in allen Details die

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