So weit der Wind uns trägt
aus der Algarve vor, der ihm gestern von allen Gästen das geringste Trinkgeld gegeben hatte. Er war, so viel hatte Venâncio mitbekommen, der Bruder des Verlobten – das heißt, bald wäre er der Schwager von Mariana. Die mochte er von allen Carvalho-Töchtern am liebsten, und sie tat ihm irgendwie leid dafür, dass sie einen so schäbigen Schwager bekommen sollte. Oho! Der Absatz eines Damenschuhs. Venâcio lachte sich ins Fäustchen und malte sich aus, wie die Dame wohl ihres Absatzes verlustig gegangen war, wie sie verzweifelt danach gefahndet hatte und schließlich, nach offenbar erfolgloser Suche, davongehumpelt war. Er deponierte sein Fundstück gut sichtbar im Fußraum des Wagens und hoffte, woanders Dinge zu finden, mit denen mehr anzufangen war als mit diesem Absatz.
Venâncio ging äußerst effektiv vor und hatte nach etwa einer halben Stunde alle Wagen mit Ausnahme des Silver Ghost, der ja nicht so schnell verschwinden würde, durchsucht. Seine verwertbare Beute belief sich auf eine halb gerauchte Brasil-Zigarre, 30 Escudos und eine sehr hübsche Haarnadel. Nicht schlecht. Der Rest des Vormittags verging damit, dass Venâncio eifriges Polieren simulierte, sobald die Autobesitzer in Sicht kamen, sowie damit, dass er in Selbstgesprächen über ihre Arroganz schimpfte, sobald sie davongefahren waren. Kurz vor Mittag widmete er sich dann endlich dem Silver Ghost, obwohl der ja gestern gar nicht bewegt worden war und daher nicht viel Interessantes bieten würde.
Umso größer war Venâncios Erstaunen, als er auf der Rückbank, eingeklemmt zwischen Lehne und Sitzpolster, ein Häkchen fand, das genauso aussah wie eines jener Dinger, mit denen die Frauen ihre Mieder schlossen. Nicht, dass er schon viele davon geöffnet hätte. Aber in einem Haushalt mit vier Frauen – seiner Großmutter, seiner Mutter und zwei Schwestern –, deren Wäsche zum Trocknen immer genau vor seiner Kammer hing, kannte man sich eben mit so etwas aus. Ts, ts, ts. Da wird doch wohl nicht eine feine Dame ihre Leibwäsche abgelegt haben? Welche von den dreien, die noch hier auf Belo Horizonte lebten, es wohl gewesen sein mochte? Oder hatte gar Dona Clementina … nein, das war undenkbar.
Jetzt ärgerte Venâncio sich darüber, dass er letzte Nacht gar nicht schnell genug hatte heimkommen können. Das Beste hatte er offensichtlich verpasst.
Jujú erwachte in dem Gefühl, etwas Furchtbares sei geschehen. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Unter dem Saum der Gardinen zauberte die Sonne eine gekräuselte Linie auf den Holzboden. Ihr Zimmer wirkte wie immer: hell, aufgeräumt, freundlich. Auch unheimliche Geräusche waren keine zu hören. Sie musste geträumt haben. Dem Winkel der Sonnenstrahlen nach zu urteilen, war es schon später Vormittag. Jujú hob den Kopf aus dem dicken Kissen, um einen Blick auf die Uhr zu werfen, die auf der Kommode stand, und da merkte sie es: Ihr Schädel pochte, als wäre sie damit unter ein Ochsengespann gekommen. Sie ließ den Kopf zurücksinken. Im selben Moment fiel ihr alles wieder ein. Jujú stöhnte leise auf. Mit geschlossenen Augen ertastete sie den Knopf neben ihrem Nachttisch und klingelte nach dem Hausmädchen.
Als sie ihren Kaffee getrunken hatte, fühlte sie sich immerhin so weit gestärkt, dass sie die Ereignisse des Vorabends Revue passieren lassen konnte, ohne vor sich selber zu erröten. Sie hatte ihrer Schwester eine Ohrfeige gegeben, sich von Rui Erbrochenes aus den Mundwinkeln wischen lassen und war schließlich, hemmungslos heulend, auf ihr Zimmer gelaufen. Und sie hatte Fernando zum Zeugen dieser Aneinanderreihung von Peinlichkeiten werden lassen. Nun ja, nicht ganz. Die erste entwürdigende Situation des Abends, die ihr jetzt merkwürdig fern erschien, hatte er gottlob nicht mit ansehen müssen.
Fernando. Plötzlich hatte er da gestanden, mit einem ähnlich breiten Grinsen im Gesicht wie Mariana. In seiner Uniform hatte er unglaublich gut ausgesehen. Die Mütze hatte ihm ein wenig schief auf den raspelkurz geschnittenen Haaren gesessen. Er war gerade im Begriff gewesen, sie abzunehmen, als ihre Blicke sich trafen. Wie hatte sie nur vergessen können, wie eindringlich sein Blick sein konnte? Selbst aus der Entfernung sah Jujú seine Augen leuchten. Er entblößte eine makellose weiße Zahnreihe und zwinkerte ihr zu. Sie sah noch, wie er hinter Mariana hervortrat, bemerkte, wie gut ihm die auf Figur geschnittene Uniform stand, die seine schmalen Hüften und die breiten Schultern
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