So weit der Wind uns trägt
nicht als ›unseren ehemaligen Verwalter‹ eingeladen. Sondern als deinen ehemaligen Geliebten. Und das weißt du auch, sonst hättest du mir ja wohl kaum die Ohrfeige verpasst, richtig?«
Richtig, dachte Jujú, sprach es aber nicht aus. »Warum hast du das getan? Ich heirate Rui.«
»Wenn es nach mir ginge, würdest du genau das nicht tun. Er taugt nichts. Er passt auch überhaupt nicht zu dir. Aber du und Fernando, ihr seid füreinander geschaffen.«
Jujú war zu verblüfft, um etwas darauf zu erwidern. Wie hatte ihr nur verborgen bleiben können, dass Mariana sich so verändert hatte? Wie alle anderen hatte sie sich täuschen lassen von der Harmlosigkeit ihres Aussehens und nicht erkannt, dass hinter der runden, kindlichen Fassade ein erwachsener weiblicher Geist steckte. Mariana schien ihr anzusehen, was sie dachte.
»Ihr alle glaubt mich zu kennen. Aber ihr seht nur, was ihr schon immer gesehen habt: ein dickes, friedliebendes Kind. Ich habe das so satt, Jujú! Ich bin 24 Jahre alt und durchaus nicht geistig minderbemittelt, auch wenn ihr mich so behandelt. Und obwohl der Fehler natürlich ganz bei euch liegt, bei eurer Blindheit, habe ich beschlossen, euch entgegenzukommen. Ich werde eine Diät machen. Je weniger ich wiege, desto mehr werdet ihr in mir sehen.« Sie lachte trocken auf. »Komisch, nicht? Wie das äußere Erscheinungsbild eines Menschen unsere Wahrnehmung beeinflusst. Nehmen wir zum Beispiel Fernando Abrantes. Findest du nicht, dass er in seiner schmucken Pilotenmontur einfach göttlich aussah? Nicht wie ein dummer Junge, nicht wie ein Bauer, nicht wie ein Verwalter …«
»Hör auf damit!«
»Er sah aus wie ein Mann, Jujú. Und zwar wie einer von uns. Weltmännisch, gepflegt, gebildet …«
»Still! Erspare mir die Beschreibung deiner Romanhelden. Sag mir lieber, wo ich ihn finde. Und damit du keine falschen Schlüsse ziehst: Ich lasse mir von dir nicht vorschreiben, wen ich für was zu halten habe. Ich möchte ihm nur guten Tag sagen. Wir waren immerhin einmal sehr gut befreundet, und seit mehr als zwei Jahren habe ich von ihm nichts mehr gehört. Das darf er mir bei der Gelegenheit dann auch mal erklären.«
»Er ist nicht mehr da. Er hat die Nacht auf dem Fußboden in der Kammer seiner Schwester verbacht, im Pfarrhaus. In aller Frühe ist er nach Évora aufgebrochen, zu seinem Bruder und seiner Mutter.«
»Auch gut. Ich hatte eh andere Pläne für heute.« Jujú drehte sich auf dem Absatz um und ließ ihre überraschte Schwester mitten in der Halle stehen.
Zurück auf ihrem Zimmer, das noch nicht aufgeräumt worden war, betrachtete Jujú ihre Kleidung von gestern. Sie hatte sie einfach abgestreift und auf den Boden fallen lassen. Dort las sie sie jetzt auf. Das Kleid war verknittert und schmutzig, an ihrem Mieder fehlte ein Haken, und ihre Unterwäsche würde sie am besten sofort wegwerfen. Oh Gott, dachte sie. Wie konnten wir nur? Es hätte sie jederzeit jemand in dem Wagen erwischen können. Das wenigstens mochte man zur Entschuldigung von Ruis unmöglichem Verhalten heranziehen: dass er es aus Angst vor Zeugen so eilig gehabt hatte. Und das kostbare Auto?, fiel es Jujú plötzlich mit brennenden Wangen ein. Wenn sie in der Dunkelheit nun doch irgendwelche Spuren übersehen hatte?
Sie zog sich schnell ein einfaches Kleid an, das dem Tag des Herrn nicht besonders angemessen war, steckte ihr Haar zu einem züchtigen Knoten auf und lief in den Schuppen, den sie hochtrabend Garage nannten. Der Junge, der Chauffeur spielte, weil er einer der wenigen im Dorf war, der einen Führerschein besaß, war Gott sei Dank nirgends zu sehen. Jujú riss die hintere Tür auf und untersuchte die Sitzbank so genau, dass ihr kein Staubkörnchen entgangen wäre. Alles bestens. Sie atmete hörbar aus und ging dann, deutlich entspannter, zurück zum Haus.
In der Mittagspause hatte Venâncio seine Entdeckung ausgiebig mit Anunciação diskutiert, die der Überzeugung war, dass nur die Menina Mariana sich einen solchen Frevel erlaubt hätte, und das auch nur, weil es ihr Verlobungstag war. Sie versprach Venâncio, an den Wäschestücken der jungen Damen nach fehlenden Häkchen Ausschau zu halten, denn genau wie er war sie in höchstem Maße an der Aufklärung dieses pikanten Geheimnisses interessiert. Intime Details aus dem Leben der Gutsbesitzerfamilie boten den schönsten Unterhaltungsstoff für lange Winterabende.
Hätte Venâncio geahnt, dass genau während seiner halbstündigen Abwesenheit
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