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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Küche.«
    Der Oberstabsarzt war ein Zweimetermann mit breiten Schultern. Sein faltiges Gesicht hatte eine ungesunde blassgelbliche Farbe. Die Nase war merkwürdig verformt.
    »Soll mal burgenländischer Meister im Boxen gewesen sein«, tuschelte eine Schwesternschülerin Irmgard zu. »Ist aber ein ganz Lieber.«
    Der Arzt untersuchte jedes Mädchen. Er sagte: »Keine Spur von Typhus. Aber jede Dritte hat Scabies. Krätze. Milben sind die Übeltäter. Graben sich besonders gern in jede Hautfalte ein. Scheußliche Biester.«
    »Und wo fängt man sich so was ein?«, fragte Dr. Scholten.
    »Überall dort, wo es mit der Hygiene nicht zum Besten steht. Die Milben lieben den Dreck. Also, weisen Sie die Lehrerinnen an, sie sollen darauf achten, dass die Mädchen sich regelmäßig und gründlich waschen.«
    »Leicht gesagt«, erwiderte Dr. Scholten. »Es gibt kaum Waschgelegenheiten. Und Seife ist heute ein Luxus.«
    »Die Oberin wird Ihnen einen Karton Seife mitgeben. Ist in diesem Fall als Medikament anzusehen. Außerdem …« Er griff hinter sich in ein Regal und nahm mehrere Keramiktöpfe heraus. »Außerdem hilft diese Schwefelsalbe. Haben wir im Haus selbst hergestellt. Sie riecht zwar unangenehm, aber noch unangenehmer dürfte der Juckreiz sein, der die Mädchen quält.«
    Er führte die letzte Gruppe der Mädchen selbst in den Speisesaal zurück und gab noch einige Anweisungen, wie sich die Erkrankten verhalten sollten.
    Die Schwester drängte schon: »Herr Oberstabsarzt, die Patienten warten auf Sie.«
    »Jaja«, entgegnete er. »Aber lassen Sie mir doch das Vergnügen, diese jungen Damen anzuschauen. Es tut gut, dass ich wieder weiß, es gibt nicht nur Patienten mit zerschossenen Körpern und amputierten Gliedmaßen.« An der Tür wandte er sich noch einmal um. »Gebt acht auf euch, Kinder. Und kommt gut zu euren Eltern zurück. Adieu.«
    »Der hat nicht Heil Hitler gesagt«, wunderte sich Ruth.
    »Adieu heißt, glaub ich, Gott befohlen«, sagte Anna. »Ist Französisch.«
    »Trotzdem nicht schlecht, oder?«

Siebter Teil
    Die Maschine der Kaiserin Elisabeth arbeitete wieder. Dr. Scholten und einige Lehrerinnen hielten sich noch an Deck auf, als Schiffsführer Kuronew aus dem Maschinenraum heraufkam. Er trauerte seinem Radio nach. »Die letzte Nachricht, die ich gehört habe, ist, dass Pressburg vor wenigen Stunden gefallen ist. Wird höchste Zeit, dass wir weiter nach Westen kommen. Die Amerikaner stoßen nach Oberösterreich vor. Sie sollten vor allem wegen Ihrer Mädchen alles daransetzen, dass Sie in den Bereich der Amerikaner gelangen.«
    »Feind ist Feind«, sagte Frau Lötsche. »Wo ist der Unterschied?«
    »Leben Sie auf dem Mond?«, fragte Kuronew. »Haben Sie nicht gehört, was russische Soldaten mit deutschen Frauen anstellen?«
    Frau Lötsche winkte ab. »Unsere Mädchen sind doch noch Kinder.«
    »Wenn die Sowjetarmee uns einholt«, sagte Kuronew grob, »dann sind Ihre Häschen die längste Zeit Kinder gewesen.«
    Dunkle Wolken überzogen den Himmel. Die Nacht brach schnell herein. Der Schiffsführer kannte zwar das Fahrwasser, aber bei Sarmingstein musste er doch vor Anker gehen, weil eine Orientierung kaum noch möglich war.
    »Morgen wird es Gott sei Dank regnen«, sagte er.
    Im Laderaum schliefen die meisten schon, nur Ruth und Irmgard lagen noch wach. »Mein Mund ist trocken. Ich habe Durst«, sagte Ruth und stieß Irmgard an.
    »Ich habe auch nichts zu trinken. Meinst du, ich wäre nicht durstig?«
    »Draußen, neben der Tür zum Maschinenraum habe ich einen Wasserhahn gesehen. Wir könnten doch …«
    »Du kannst es ja ausprobieren. Wenn’s klappt, geh ich auch hoch.«
    Ruth schlich zur Treppe und stieg an Deck. Kein Mensch war zu sehen. Der Wasserhahn war fest zugedreht worden. Zuerst schaffte sie es nicht, das kleine Rad zu bewegen. Doch dann schoss das Wasser in einem kräftigen Strahl heraus. Ruth hielt ihre Hände darunter und trank hastig. Sie drehte den Hahn wieder zu, kehrte zu ihrem Lager zurück und flüsterte Irmgard zu: »Wasser genug. Aber dreh den Hahn fest zu, wenn du genug getrunken hast. Es muss ja keiner wissen, dass wir das Wasser probiert haben.«
    Nachdem auch Irmgard getrunken hatte, schliefen beide ein, wurden aber gegen Morgen noch vor den anderen wieder wach. Das Schiff hatte abgelegt, obwohl der Tag erst seinen ersten schwachen Lichtschimmer im Osten zeigte.
    »Ich fühle mich nicht gut«, sagte Irmgard leise.
    »Ich habe auch so ein Grummeln im Bauch. Ist

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