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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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wahrscheinlich der Hunger, der sich meldet.«
    »Kannst meine Scheibe Brot haben. Ich will nichts essen.«
    Ruth nahm das Käsebrot, aber als sie ein kleines Stück abgebissen hatte, sagte sie: »Ich bin auch schon satt. Wir heben das Brot für später auf.«
    Allmählich erwachten die anderen. Einige gingen an Deck, aber weil es regnerisch und kalt war, hielten sie es dort nicht lange aus.
    Selbst als die Kaiserin Elisabeth bei St. Nikola einen längeren Aufenthalt einlegte, verließen nur Anna und Lydia den Laderaum.
    »Das ganze Gepäck der Flüchtlinge aus Pressburg, die Kisten, Kästen, Körbe und Bündel, alles wird durch und durch nass«, sagte Anna zu Lydia.
    »Die haben wenigstens noch etwas, das nass werden kann. Ich habe keinen Rucksack mehr, keinen Ausweis, kein Gepäck. Was soll ich denn sagen?«
    »Stimmt. Aber vergiss nicht, dass Irmgard dir eins ihrer beiden Kleider geliehen hat. Und du hast deine Felljacke, die Wolldecke und die Schuhe.«
    Als ihre Schwester schweigend vor sich hin starrte, dachte Anna: Kann sie nicht wenigstens dankbar dafür sein, dass viele ihr helfen wollen? Sicher, Anna war aufgefallen, dass Lydia sich seit dem Unglück anders verhielt. In der Nacht war Anna wegen der Kälte unter die Decke ihrer Schwester gekrochen und Lydia war nicht, wie bisher immer, auf Abstand bedacht gewesen. Es schien zu stimmen, was Mutter ab und zu gesagt hatte: »Das wächst sich aus.« Wie oft hatte Anna daran gedacht, seit Lydia sich so seltsam verhielt.
    Wenn ich das Mutter schreiben könnte, dachte sie, es wäre ein Freudenbrief für sie.
    Irmgard kam hoch an Deck. Mürrisch eilte sie an Lydia und Anna vorbei zum Klo. Wenig später folgte ihr Ruth.
    »Ist was mit euch?«, fragte Anna.
    »Uns geht es nicht gut. Bauchschmerzen«, war die knappe Antwort. Während Lydia und Anna einen halbwegs geschützten Platz unter einem Vordach gefunden hatten, hockten sich Irmgard und Ruth, ohne auf den Nieselregen zu achten, neben eine große Kiste nah beim Klohäuschen. Immer wieder sprangen sie hastig auf und liefen hinein.
    Anna informierte schließlich Dr. Scholten. Der beobachtete die beiden Mädchen und holte Schwester Nora. Die sagte:
    »Wahrscheinlich haben die zwei zu viel von der Puddingsuppe gegessen. Jetzt revoltieren Magen und Darm.« Sie veranlasste, dass die Mädchen sofort wieder in den Laderaum gingen, und bat den Schiffsführer um einen Eimer, damit sie nicht ständig die Klos an Deck aufsuchen mussten.
    »Verdammter Mist!«, rief Kuronew. »Noch einmal diese gottserbärmliche Seuche hier an Bord und wir können den Kahn endgültig stilllegen.« Er gab Schwester Nora den Eimer und sagte eindringlich: »Zu niemandem ein Wort von Ruhr oder Typhus. Neben dem Laderaum gibt es einen schmalen Durchgang zum Maschinenhaus. Dort ist es trocken und warm.«
    Er löste einen Schlüssel von seinem Schlüsselbund und gab ihn der Schwester.
    »Separieren Sie die beiden Mädchen. Wir werden sehen, was daraus wird.«
    »Wahrscheinlich kein Typhus«, sagte Schwester Nora. »Die Kinder sind bisher fieberfrei.«
    Als Anna nach Ruth und Irmgard sehen wollte, verbot sie ihr, in den Durchgang zu gehen. »Was die Zarskis haben, könnte ansteckend sein. Wenn es nicht besser mit den beiden wird, bleibt uns nichts anderes übrig, als sie in ein Krankenhaus zu schaffen«, sagte sie.
    Anna antwortete: »Wir lassen keine von uns zurück.«
    Die Schwester hob ratlos die Hände.
    Am Nachmittag erreichte das Schiff Mauthausen. Weil sich kein Ankerplatz fand, machte der Schiffsführer neben der Emma III fest, die an der Kaimauer lag. Es hatte zu regnen aufgehört. Die Flüchtlinge aus Pressburg wurden unruhig. Sie wollten die Kaiserin Elisabeth verlassen. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, ein Zug fahre über Linz nach Bayern. Sie schulterten ihr Gepäck, beluden kleine Handkarren und Kinderwagen und ließen sich nicht aufhalten. Auf dem Nachbarschiff standen einige Wachsoldaten mit geschultertem Gewehr. Kuronew verhandelte mit dem Schiffsführer der Emma III. Schließlich hieß es, dass die Flüchtlinge quer über das Deck seines Schiffs an Land gehen konnten. Kuronew schlug vor, dass auch die Mädchen das Schiff verlassen sollten. Kein Mensch könne wissen, ob die Kaiserin Elisabeth überhaupt noch einmal losfahre.
    »Es ist bald Nacht«, sagte Dr. Scholten. »Ich werde versuchen, in Mauthausen für uns ein Quartier zu finden. So lange müssen unsere Schülerinnen auf jeden Fall an Bord bleiben.«
    »Dann viel Glück«,

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