So weit die Wolken ziehen
ohne mein Radio weg von der Front als mit dem Radio hier in Ybbs festgenagelt sein. Vor fünf werden wir mit dem Einbau nicht fertig. Wenn Sie bis dahin mit den Mädchen das Schiff verlassen wollen, bitte schön.«
Dr. Scholten hatte gehört, dass es auf der Kaiserin Elisabeth vor einer Woche einige Fälle von Typhus gegeben hatte. Dazu diese merkwürdigen Juckbeschwerden einiger Mädchen. »Wissen Sie, ob Ybbs ein Krankenhaus hat?«, fragte er den Schiffsführer.
Kuronew schaute ihn misstrauisch an. »Sie denken doch nicht an Durchfall, Ruhr oder so was?«
»Nein, nein. Es ist mehr ein ansteckender Juckreiz zwischen Zehen und Fingern.«
Kuronew lachte. »Ungarische Krätze«, sagte er. »Ybbs hat eine Reiterkaserne am Rande der Stadt. Da ist auch das Spital. Gehen Sie am besten am Donauufer entlang bis zur Persenbeuger Straße. Dann sehen Sie die Reiterkaserne schon. Fragen Sie nach dem Oberstabsarzt. Erzählen Sie ihm aber nichts von der Krätze. Sagen Sie ihm besser, Sie fahren mit der Kaiserin Elisabeth und einige Ihrer Zöglinge hätten Durchfall und Fieber. Sie werden sehen, er wird Sie alle verdonnern, ins Spital zu kommen.«
Dr. Scholten folgte dem Rat des Schiffsführers, ließ sich telefonisch mit dem Oberstabsarzt verbinden und bekam tatsächlich die Anweisung: »Kommen Sie sofort mit den Kindern hierher. Ich will mir die Mädchen ansehen. Alle.«
»Es wird hoffentlich nicht lange dauern, Herr Oberstabsarzt«, sagte Dr. Scholten. »Wir wissen nämlich nicht genau, wann das Schiff wieder fahren kann.«
»Wenn Sie hier nicht erscheinen, wird es überhaupt keine Schiffsreise mehr geben. Dann lasse ich den Kahn stilllegen. Auf der Kaiserin Elisabeth hat es vor vierzehn Tagen Typhus gegeben. Meinen Sie, ich sehe tatenlos zu, wie Sie die Seuche donauaufwärts ausstreuen?«
Dr. Scholten stimmte zu: »Gut, wir kommen. Ich darf Sie vielleicht darauf hinweisen, dass die Mädchen seit gestern nichts mehr gegessen haben.«
»Schon verstanden«, sagte der Arzt und brach das Gespräch ab.
Vor dem Eingang des Spitals wurden die Mädchen von einer älteren Rotkreuzschwester begrüßt.
»Ich bin Schwester Traudel, die Lehrschwester. Hereinlassen darf ich euch nicht«, rief sie ihnen zu. »Erst will unser Chef euch dort drüben in unserem Casino in Augenschein nehmen. Ihr sollt ihm nichts ins Haus tragen. Aber ihr könnt euch freuen. Dort wartet eine angenehme Überraschung auf euch.«
Das Casino war eine Holzbaracke. Durch einen Garderobenflur gelangten die Mädchen in den großen Speisesaal. Drei Tischreihen zogen sich durch den ganzen Raum.
»Ihr geht an der Durchreiche zur Küche vorbei. Dort bekommt jede von euch eine Scheibe Brot mit Streichkäse. Außerdem nehmt euch einen Löffel aus dem Besteckkorb. Teller findet ihr auf den Tischen. Sucht euch einen Platz möglichst vorn an der Durchreiche. Unsere Schwesternschülerinnen tragen dann etwas Köstliches auf.« Schwester Nora flüsterte sie zu: »Unseren Verwundeten hier kommt die Puddingsuppe schon zu den Nasenlöchern heraus. Seit Tagen gibt es zweimal am Tag Pudding, Puddingsuppe, Pudding, Pudding, Pudding. Wir haben einen ganzen Eisenbahnwaggon voll Puddingpulver und Trockenmilch geliefert bekommen. Leider sind Pudding und Milchpulver fast das Einzige, was wir noch in unserem Vorratsraum haben.«
»Die Mädchen werden sich die Lippen danach lecken«, sagte Schwester Nora.
An jedem Platz lag eine runde Kartonmarke mit einer aufgedruckten Nummer. Die Mädchen setzten sich und warteten. Dann öffnete sich die Tür und der Duft von Vanille strömte in den Raum. Die Schwesternschülerinnen trugen Schüsseln mit goldgelber dicker Puddingsuppe auf.
»Ihr könnt so viel davon essen, wie ihr mögt«, sagte die Schwester. »Ihr werdet es nicht schaffen, dass unsere Küche kapituliert.«
»Genau wie die deutschen Soldaten«, rief Ruth in den Saal. »Die kapitulieren auch nie.«
»Halt die Klappe«, zischte Irmgard ihr zu.
Alle Mädchen warteten, bis Frau Lötsche Guten Appetit gesagt hatte. Dann hörte man minutenlang nur das Geklapper der Löffel auf den irdenen Tellern.
»Es wäre gut, wenn ihr das Käsebrot nicht auch gleich verschlingt«, sagte Dr. Scholten. »Wenn ihr von der Suppe satt geworden seid, packt die Brotscheibe ein und nehmt sie mit. Wer weiß, wann und wo wir das nächste Mal etwas zwischen die Zähne bekommen.«
Eine Schwesternschülerin rief in den Saal: »Die Nummern eins bis sechs zur Untersuchung in den Raum neben der
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